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Die Planck-Mission der ESA liefert die erste vollständige Karte der kosmischen Hintergrundstrahlung
Die Geschichte des Universums zu schreiben, stellt eine der größten Herausforderungen an die moderne Wissenschaft dar. Seit der US-Amerikaner Edwin Hubble 1929 die Rotverschiebungen von Linien in den Spektren extragalaktischer Objekte entdeckte, hat sich die Astronomie diesem Problemfeld zugewandt. Man deutete die Linienverschiebungen als Indiz für ein expandierendes Weltall und ging im Umkehrschluss davon aus, dass vor langer Zeit einmal alle Materie des Universums auf engstem Raum beieinander gewesen sein musste.
Herausgekommen ist nach zahlreichen heftigen Kontroversen das heutige Standardmodell der Kosmologie. Demnach entstand das Universum mit dem Urknall, einem ominösen »Moment Null«, der bis heute keiner wissenschaftlichen Beschreibung zugänglich ist. Doch was sehr kurz danach geschah und wie sich dann alles zu jenem Universum geformt hat, in dem wir heute leben, das glauben die Forscher im Großen und Ganzen zu wissen. Im Prinzip gehen sie bei der Rekonstruktion dieser Prozesse so vor, dass sie heute messbare Fakten als Ergebnisse vermuteter früherer Zustände deuten. Gelingt dies widerspruchsfrei, kann man annehmen, dass jene Zustände tatsächlich so waren.
War das Weltall z.B. ursprünglich eine heiße Suppe aus Strahlung und Teilchen, so müsste sich ein infolge der Expansion stark abgekühltes Relikt der ursprünglichen Strahlung heute noch nachweisen lassen. Deshalb lieferte die Entdeckung einer solchen kosmischen Hintergrundstrahlung durch Penzias und Wilson im Jahre 1965 auch eine der stärksten Stützen des Standardmodells.
Diese Mikrowellenstrahlung, die der eines Planckschen Strahlers von 2,7 Kelvin (-270° C) entspricht, ist nun seit längerem Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Kein Wunder, handelt es sich doch um Botschaften aus der Frühgeschichte des Universums. Der Mikrowellenhintergrund liefert uns quasi eine Momentaufnahme des Babykosmos 380 000 Jahre nach dem »Urknall«, als das Weltall erstmals durchsichtig wurde. Nachdem die beiden US-Sonden COBE (Cosmic Background Explorer) und WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) bis 2010 erste Karten der Mikrowellenhintergrundstrahlung lieferten, hat die Planck-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) diese nun mit bisher unerreichter Präzision kartiert.
Während COBE nur Strukturen von ca. sieben Grad Ausdehnung erfassen konnte, wurde mit Planck eine Auflösung im Bereich von fünf bis zehn Bogenminuten erreicht. Winzigste Temperaturschwankungen im Bereich von einigen Millionstel Grad werden als Abbilder von Dichteschwankungen der Materie zu jener Zeit gedeutet. Daraus kann man mit gutem Willen alles Mögliche herauslesen. Sogar die Initialen »SH« (Stephen Hawking) will man gefunden haben.
Doch die Astronomen sehen in den Dichtevariationen die großräumigen Strukturen des Universums (Galaxien und Galaxienhaufen). Die Schwankungen von damals bildeten unter plausiblen Annahmen gleichsam die Keime der späteren Sternsysteme und Galaxienhaufen. Der Leiter der deutschen Beteiligten an der Mission, Torsten Enßlin am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, äußert sich enthusiastisch: »Am meisten beeindruckt mich, wie stimmig das Bild ist«. Das Standardmodell der Kosmologie werde durch die Ergebnisse klar gestützt. Das bezieht sich auch auf den Anschluss an andere Beobachtungen, wie z.B. über die Elementenhäufigkeit im frühen Universum. Damals existierten nur die leichtesten Elemente des Periodensystems (Wasserstoff, Helium, Lithium). Das Verhältnis, in dem diese Elemente nach der Interpretation der Mikrowellenkarte vorkamen, stimmt weitgehend mit Messungen überein, die an extrem alten Objekten gemacht wurden, in denen die ursprüngliche Elementenverteilung noch besteht.
Wegen der hohen Präzision der Messungen konnten nun auch wichtige kosmologische Daten neu abgeleitet werden. So ergibt sich für das Alter des Universums der neue Wert von 13,82 Milliarden Jahren (bisher: 13.7 Milliarden). Normale Materie (Sterne, Planeten etc.) ist zu 4,9 Prozent an der Massen- und Energiedichte des Universums beteiligt (bisher: 5 Prozent), die noch unverstandene Dunkle Materie zu 26,8 Prozent (bisher: 25 Prozent) und die rätselhafte Dunkle Energie, der man die beschleunigte Expansion des Universums zuschreibt, zu 68,3 Prozent (bisher: 70 Prozent).
Das kosmologische Standardmodell hat allerdings bis heute auch namhafte Gegner sowohl unter den Theoretikern wie auch unter den Fachleuten der beobachtenden Zunft. Von ihnen werden ungeklärte Fragen, aber auch die Heranziehung mehr oder weniger willkürlicher Parameter, mit denen die Rohdaten dem Modell angepasst werden, als Gegenargumente ins Feld geführt. In diesem Zusammenhang ist es deshalb nicht uninteressant, dass die Ergebnisse der Planck-Mission auch einige Fakten zutage gefördert haben, die schlecht in das Standardmodell passen. So scheint eine Himmelssphäre wider Erwarten differenziertere Strukturen als die andere aufzuweisen. Außerdem fand man einen völlig kalten Fleck von unerwarteter Größe. Selbst unter Berücksichtigung der extrem schwierigen und möglicherweise auch fehleranfälligen Datenauswertung kann man nicht von der Hand weisen, dass sich hinter diesen Ungereimtheiten auch erste Anzeichen für eine erforderliche Revision des Standardmodells verbergen könnten. Obschon Torsten Enßlin nach den Planck-Daten jetzt erst recht vom Standardmodell überzeugt ist, räumt er doch ein: »Auch darüber muss man nachdenken«.
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