Bröckelnde Erinnerung
Lange Zeit verfiel das Nürnberger Parteitagsgelände der Nazis - jetzt soll ein Lernort daraus werden
Nürnberg. Gigantisch und imposant dominiert die Zeppelintribüne mit ihren großen Steinstufen noch heute das Nürnberger Zeppelinfeld. Dort, auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, fanden nach der Machtergreifung der Nazis 1933 regelmäßig Massenveranstaltungen der NSDAP statt. Wer auf den Stufen der 360 Meter langen Steintribüne steht, spürt noch immer den Machtanspruch, der von diesem Ort einst ausging.
Doch so mächtig die Zeppelintribüne auch wirken mag - das Nazi-Relikt aus Kalkstein bröckelt an allen Ecken und Enden. Die Stadt Nürnberg will den Bau nun instand setzen, um die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten lebendig zu halten - ein langwieriges und teures Unterfangen.
Denn das alte Gemäuer leidet. Als die Säulengalerie auf der Steintribüne im Jahr 1967 gesprengt wurde, schob sich Bauschutt in den Innenraum und dehnte das Mauergefüge. Zugleich wurde durch die Sprengung die Abdeckung zerstört, die die Tribüne von oben her geschützt hatte. Seither kann Regen weitgehend ungehindert in den Innenraum sickern. Im Winter gefriert die eingedrungene Feuchtigkeit und bricht das Gestein des Bauwerks auf - ein Teufelskreis. »Der Kalkstein, der damals verwendet wurde, ist nur ein drittklassiges Material und bereitet uns jetzt große Probleme«, sagt Architekt Robert Minge.
Minge leitet das Instandhaltungsprojekt »Zeppelinfeld und Zeppelintribüne«. Denn die Stadt Nürnberg hat sich dafür entschieden, die Bauten in ihrem heutigen Aussehen zu bewahren. Im Jahr 2004 erarbeitete die fränkische Metropole Leitlinien zum Umgang mit ihrem NS-Erbe. Um auch den folgenden Generationen Wissen über den Nationalsozialismus zu vermitteln, sei das ehemalige Reichsparteitagsgelände der ideale »Lernort«, heißt es darin. Jedes Jahr investiert die Stadt deshalb etwa 100 000 Euro, um die Tribüne einigermaßen begehbar zu halten.
Um den Verfall zu stoppen, gab die Stadt 2009 ein Konzept zur Instandhaltung in Auftrag. Ein Expertengremium aus Architekten, Natursteinspezialisten und Statikern kam auf Kosten von etwa 60 bis 70 Millionen Euro. Da die Stadt Nürnberg davon nur einen geringen Anteil zahlen kann, sollen nach dem Willen der Kommune auch Freistaat und Bund ihr Scherflein beisteuern. Doch die wollen erst ein detaillierteres Konzept sehen.
»In dem Gutachten von 2009 wurden lediglich die ungefähren Kosten ermittelt. Nun sollen die konkreten Maßnahmen, die nötig sind, festgelegt werden«, erklärt Minge. Fachleute werden jetzt ermitteln, an welchen Stellen Chemikalien eingesetzt werden müssen oder wo Dübel zur Festigung vorteilhaft sind. Die Arbeiten dauerten mindestens zehn Jahre, da sie witterungsbedingt nur im Frühjahr und Sommer ausgeführt werden könnten, erklärt der Architekt.
Dass die Pläne der Stadt nicht nur auf positive Resonanz stoßen, räumt der Leiter des Nürnberger Hochbauamtes, Wolfgang Vinzl, freimütig ein. Immer wieder gebe es vereinzelt Beschwerden, dass man den Bauten der Nationalsozialisten durch die hohen Geldsummen zu große Bedeutung schenke. Vinzl selbst teilt diese Bedenken nicht. Die Relikte könnten zeigen, mit welchen Mitteln der Nationalsozialismus gearbeitet habe, um vor rund 70 Jahren die Massen zu begeistern. »Wenn man auf dem Reichsparteitagsgelände steht, spürt man die enorme Wirkungskraft, die von den imposanten Bauten ausgeht und die von den Nazis für ihre Zwecke missbraucht wurde«, sagt der Leiter des Hochbauamtes.
Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes begrüßt, dass die Hinterlassenschaften der Nazis als Mahnung erhalten bleiben. »Viele der Überlebenden haben das Gelände zwar verflucht, da es eine Erinnerung an die Barbarei des Faschismus ist«, betont der Vorsitzende des Nürnberger Ablegers der bundesweiten Organisation, Georg Neubauer. Trotzdem seien letztlich alle daran interessiert, dass sich auch die kommenden Generationen mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus auseinandersetzten.
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