Anachronistischer Haftbefehl

KON-KURD-Vertreter in Brüssel in Haft / Querschuss gegen Friedensprozess in der Türkei

  • Martin Dolzer
  • Lesedauer: 2 Min.
Nach dem Friedensappell des inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, will die türkische Regierung laut Presseberichten den Kurdenkonflikt bis zum November endgültig beilegen. Doch gibt es Querschüsse.

Trotz deutlicher Tauwettertendenzen im innertürkischen Friedensprozess - die internationalen Verfolgungsmechanismen gegen PKK-Akteure sind weiter in Kraft. So wurde Ende März auf dem Brüsseler Flughafen der stellvertretende Vorsitzende der Konföderation der Kurdischen Vereine Europas (KON-KURD), Yilmaz Orkan, festgenommen. Der Exilpolitiker befand sich auf dem Weg zum Weltsozialforum in Tunesien. Aufgrund des gleichen Haftersuchens aus Spanien waren bereits am 6. Februar sechs Kurden in Spanien und 17 in Frankreich festgesetzt worden.

Der Dachverband der kurdischen Vereine in Deutschland kritisierte die Festnahme scharf. In der internationalen Politik sei der Friedensaufruf Öcalans vom 21. März als historischer Schritt gewertet worden. In einer solchen Phase sei die Festnahme des stellvertretenden Vorsitzenden von KON-KURD das falsche Signal aus der EU.

Der LINKE-Europaabgeordnete Jürgen Klute äußerte sich empört: »Kurden und Türken scheinen heute so entschlossen wie nie, Frieden zu schließen und damit die Tür zu einer echten Demokratisierung der Türkei zu öffnen. Wie soll die Türkei Verhaftungen wie die von Yilmaz Orkan verstehen? Dass Europa diese Entwicklung ignoriert und kein Interesse hat an Frieden und Demokratie im Nahen Osten? Das wäre beschämend.«

Nach dem Öcalan-Appell hatte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen und ihren Rückzug vom türkischen Staatsgebiet bis Ende des Jahres angekündigt. Die türkische Regierung stellt gerade eine Kommission von beidseitig anerkannten »weisen Persönlichkeiten« zusammen, die den Rückzug der PKK und den Friedensprozess sichern soll. Zudem kündigten die Verantwortlichen in Ankara an, die türkischen Gesetze an die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg anpassen und die Verfassung demokratisieren zu wollen.

Seit 2009 waren in der Türkei mehr als 9000 vornehmlich kurdische Politiker und Menschenrechtler verhaftet worden. Darunter sechs Parlamentsabgeordnete, 37 Bürgermeister, 36 Anwälte, mehr als 100 Stadträte und ungezählte Frauenrechtlerinnen. Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der LINKEN sowie deren Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, bezeichnete die Verhaftung Orkans daher als Handlung, die den begonnenen Prozess aufs heftigste konterkariere. Die Staaten der EU, meint Hunko, sollten daher endlich ein positives Signal in dieser Frage setzen und das PKK-Verbot aufheben.

Ein Brüsseler Gericht entschied inzwischen, dass der Auslieferungsantrag der türkischen Justiz nicht begründet sei. Da die Staatsanwaltschaft jedoch Widerspruch eingelegt hat und die Entscheidung darüber erst in zwei Wochen fallen wird, befindet sich Orkan weiter in belgischer Haft.

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