Im Kalkaer Wunderland

Vor 40 Jahren begann der Bau des Schnellen Brüters - der Streit um die Atomanlage entzweite die Kommune über Jahre

  • Elke Silberer, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Schnelle Brüter in Kalkar (NRW) galt als Wunderreaktor deutscher Atomforschung. Doch er ging nie ans Netz. Und trotzdem litt das Dorf Hönnepel am Niederrhein zig Jahre unter den Folgen des Kraftwerksbaus. Inzwischen reden die Menschen wieder miteinander.

Kalkar. Ausstieg aus der Kernenergie, Vorrang für erneuerbare Energien, aber manche Dinge verändern sich eben nicht: Der Matsch auf der Wiese von Bauer Maas, der ist geblieben. »Das war auch damals schon das Problem«, sagt Stef Beumer, Anti-Atom-Aktivist der ersten Stunde, und stapft weiter zum Milchstall. Bauer Maas lebt längst nicht mehr. Aber der alte Stall, einst ein Treffpunkt der Aktivisten, steht noch, wenn auch mehr schlecht als recht. Durch das eingestürzte Dach guckt man direkt auf diesen wunderlich mit Bergen bemalten Kühlturm, mitten auf dem platten Land. An der Außenwand kann man hochklettern, im Turm gibt es ein Kettenkarussell.

Mit großen Plänen und viel Glauben an die Technik begann am 24. April vor 40 Jahren der Bau des Atomkraftwerks »Schneller Brüter« in Kalkar am Niederrhein. Es wurde eine der teuersten Investitionsruinen Deutschlands. »Wir sind froh, dass wir das hingekriegt haben, dass der Schnelle Brüter nie ans Netz ging«, sagt Beumer. Er spricht von »wir«. Zig Jahre später ist dieses Gefühl wieder da: gegen den Brüter, gegen die Polizei, gegen Atom - eine andere Epoche, eine andere Zeit. Das verbindet, anscheinend für die Ewigkeit.

Und das entzweit, irgendwie wohl auch für immer. CDU-Mann Norbert van de Sand aus dem Kalkarer Stadtrat sagt: »Die Sache ist vorbei. Gott sei Dank ist sie vorbei. Man kann an der Theke mit den Leuten wieder darüber sprechen.« Und zwar ohne blanke Feindseligkeit - diesen Zusatz denkt man automatisch. Das klingt, als seien die Spätfolgen einer Krankheit langsam geheilt. Von jedem Platz in Hönnepel - einem Ortsteil von Kalkar - kann man die Bauten sehen, die einmal »Schneller Brüter« sein sollten und jetzt »Wunderland« heißen: Freizeitpark und sechs Hotels mit 1000 Betten. Es gab Zustimmung und Ablehnung, der Graben zog sich durch das Dorf, über die Schützenfeste, bis an die Theke. Menschen sprachen nicht mehr miteinander, manche konnten sich noch vor 20 Jahren nicht an einen Tisch setzen. »Wenn der Brüter ans Netz gegangen wäre, hätten wir heute eine andere Diskussion. Es gibt in der Region viele Krebserkrankungen«, sagt van de Sand, auch Ortsvorsteher von Hönnepel.

Wenn van de Sand auf Willibald Kunisch (Grüne) trifft, braucht es bei dem Thema Atomkraft nicht viel, um aus Ratsherren wieder harte Gegner werden zu lassen. Hönnepel hat sich verändert. Menschen ohne »Brüter-Vergangenheit« sind zugezogen, natürlich auch Kinder. »Für mich ist das der Brüter, aber für die Kinder ist es das Kernwasser-Wunderland.« Auch Kunisch wertet es als Erfolg der Demonstranten, dass der Schnelle Brüter nie in Betrieb ging. Da gab es aber auch noch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986. Und spätestens da war die nordrhein-westfälische Landesregierung von dem Vorzeigeprojekt abgerückt. Gegen ihren Widerstand konnten die Bundesregierung und die Stromwirtschaft die Inbetriebnahme des Reaktors nicht durchsetzen. 1991 kam das offizielle Aus. Bis dahin hatte der Schnelle Brüter umgerechnet 3,6 Milliarden Euro an Planungs- und Baukosten verschlungen.

»Und es wird doch alles gut.« Wenn Ursula van Dick heute ausspricht, was sie damals bei der Nachricht vom Aus des Schnellen Brüters gedacht hat, klingt das nach Gottvertrauen. Die 42-Jährige ist die Tochter von Bauer Maas. Achtung und Bewunderung schwingen mit, wenn sie in Hönnepel von »Bauer Maas« sprechen - fünf Jahre nach seinem Tod. Sein Widerstand ist legendär. Maas war Landwirt in Hönnepel, ein überzeugter Christ und angesehener Mann. Er legte sich mit den Großen an, klagte gegen den Brüter, wurde zu einer Leitfigur des Widerstands. Er rieb sich gesundheitlich und finanziell auf und warf nach 13 Jahren Kampf das Handtuch. Er verkaufte seinen Hof und zog mit vier Kindern ins Münsterland. Ursula hatte mit dem Vater vor dem Fernseher gesessen, als das Aus für den Brüter kam. »Wir haben uns gefreut.«

Schon als Jugendliche hat Ursula van Dick Heimweh gehabt. Mittlerweile lebt sie wieder in Hönnepel, hat dort geheiratet, gebaut und zwei Kinder. Mit den Kindern geht sie einmal im Jahr ins Wunderland, in den Freizeitpark mit den Karussells. Und manchmal fragt sie sich, was der Vater davon halten würde.


Nie in Betrieb

Am 24. April 1973 beginnt der Bau des Schnellen Brüters in Kalkar (Nordrhein-Westfalen). Der Reaktor soll mehr atomares Brennmaterial erzeugen als er verbraucht. Er schien geeignet, das Energieproblem der Menschheit zu lösen. Mehrere zehntausend Atomkraftgegner gehen bei Demonstrationen gegen den Schnellen Brüter auf die Straße. Eine zentrale Figur ist der Bauer Josef Maas, der sich vom konservativen CDU-Mitglied zum Öko-Rebellen und Grünen-Landtagskandidaten entwickelt. Wegen Zweifeln an der Sicherheit erhält das Kernkraftwerk dann nie eine Betriebsgenehmigung und wird zum Milliardengrab. Im Jahr 1991 beschließen die Gesellschafter, das Projekt zu beerdigen. 1995 wird das Gelände für 2,5 Millionen Euro an einen niederländischen Unternehmer verkauft, der darauf ein Hotel, Tagungs- und Freizeitzentrum errichtet. (dpa/nd)

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