Musikalisch von Fall zu Fall

Die Neuköllner Oper erinnert an eine jüdische Komponistenfamilie

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach einigen Schlagern von Richard Fall hebe man ab. Jedenfalls bei den Proben zu den »FALLstudien« sei das so gewesen, kündigte Winfried Radeke bei der Premiere im Studio der Neuköllner Oper an. Tatsächlich gingen die Besucher zum Schluss überaus vergnügt.

Richard Fall habe die Schlager gemeinsam mit dem Texter Fritz Löhner-Beda beim Blödeln im Café erdacht. So sind sie denn auch. »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans beim Tanz? …..Schnickelschnackel, schnickelschnackel«. 1925 entstand der Titel und wurde sofort geliebt. Eine Zeit, in der junge Menschen sich daran erfreuten, miteinander zu tanzen. Vielleicht kommt das eines Tages wieder. Wer weiß?

Gemeinsam mit dem Ensemble Zwockhaus und Gästen erinnert Winfried Radeke, Komponist, Regisseur und Gründer der Neuköllner Oper, an das Werk der jüdischen Komponistenfamilie Fall. Das Ensemble, zu dem außer ihm die Sängerin Maria Thomaschke und der Sänger Andreas Jocksch gehören, widmen sich dem Schaffen in den Jahren des deutschen Faschismus verfolgter und ermordeter Komponisten und Textdichter. Forschung und musikalische Aufbereitung der Werke schließt das ein. Das Kabarett im Konzentrationslager Theresienstadt ist ein Arbeitsschwerpunkt. Der Name des Ensembles ist hergeleitet aus dem tschechischen Wort »cvok« (Verrückter). Zwockhaus nannte man die psychiatrische Abteilung in Theresienstadt.

Der Schlagerkomponist Richard Fall, geboren 1882, wurde 1945 in Auschwitz ermordet. Sein 1877 geborener Bruder Siegfried in Theresienstadt. Wie der Operettenkomponist Leo Fall, Jahrgang 1873, der bereits 1925 starb und dessen Werke in der Nazizeit verboten wurden, entstammten sie einer österreichischen Musikerfamilie. Vater Moritz Fall (1848 bis 1922) schrieb vorrangig Märsche. In dem von Radeke auch moderierten Programm kann man die Schnellpolka »Wirrwarr« und und das Schnellsprech-Couplet »Wehe! Wehe!« mit Problemen von 1895 hören. Strolche, Bazillen, vergammelte Lebensmittel. Erstaunlich, was es so alles gab.

Von Fall zu Fall arrangierte Radeke alle Titel für die Besetzung mit Akkordeon (Susanne Stock), Klavier (Nikolai Orloff ) und den viel gezupften Kontrabass (Volker Suhre). Mehrere getragene Lieder von Siegfried Fall sind nach den väterlichen Titeln zu hören. Damit wurde der Komponist nicht erfolgreich, sondern familiär dazu »verdonnert« - wie Radeke es nennt - Klavierauszüge von Werken seines Bruders Leo herzustellen. Mühselig. Aber so war das Gefälle bei den Falls.

Leo, der mit Couplets begann, war nun einmal mit seinen vielen Operettenkompositionen der erfolgreichste der Brüder. Seine »Rose von Stambul« von 1916 wurde 2005 in einer Neuköllner-Oper-Fassung aufgeführt. Eine Inszenierung von »Madame Pompadour« aus dem Jahr 1922 hatte im diesjährigen Januar am Staatstheater Cottbus Premiere. Radeke wählte sechs Titel aus verschiedenen Werken, darunter die »Ballade von der Knopfsammlung im Louvre von Paris!« Eine pikante Geschichte und wie die anderen gut gesungenen Titel von Thomaschke und Jocksch gekonnt mimisch bereichert.

Mit den »FALLstudien«, die in der Reihe »Verfolgung und Wiederentdeckung« im Musikclub des Konzerthauses im Februar schon im Gespräch waren, wird nun in der Neuköllner Oper auf unterhaltsame Weise vertraut gemacht und so über ihr musikalisches Werk Opfern des Faschismus gedacht. In der Art wie es auch die Künstler Max Raabe und sein Palastorchester, Götz Alsmann und die Berliner Comedian Harmonists verdienstvoll betreiben. Würdevoll und unprätentiös.

Wieder am 28.4. und 2.5., Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131, Tel.: (030) 68 89 07 77

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