Die bleiche Rose im Schoß
Die Galerie Brockstedt rückt »Die 20er Jahre« ins rechte Licht
Ob die 1920er Jahre golden waren, sei dahingestellt. Die politische Schwäche der permanent wechselnden Regierungen, Inflation und Weltwirtschaftskrise boten der Kunst ein reiches Betätigungsfeld. Berlin entwickelte sich zu einem Mekka der Moderne. Das bezeugt die Ausstellung »Die 20er Jahre - Arbeiten aus einer Privatsammlung« in der Galerie Brockstedt.
Zu besichtigen gibt es rund 50 Werke von gut 30 zumeist deutschen und einigen holländischen Künstlern. Entstanden sind die Exponate zwischen 1913 und 1940, vor allem jedoch in den titelgebenden 1920ern. Sie spiegeln politische Auffassungen und künstlerische Haltungen, von der Skizze und der Grafik bis zum opulenten Ölgemälde.
Drei kleine Bleistift-Kreide-Zeichnungen von Otto Dix empfangen den Besucher, darauf ein hinter Gestrüpp verborgenes Haus, ein toter Wald mit Krater davor. Das Entstehungsjahr 1915 lässt auf Kriegserlebnisse schließen. Eher skurril fällt Georg Tapperts Aquarell einer drallen »Cabaretsängerin« aus, wie sie beinah nackt in Pumps steckt. In Mischtechnik fixiert Sascha Wiederhold um 1925 eine Tänzerin in Bauhausmanier, gefügt aus geometrischen Formen und kugeligen Gelenken. Von ihm stammt mit »Bogenschützen«, 204 x 240 Zentimeter, auch das größte Format in Öl, eine an russische Konstruktivisten gemahnende, expressive Überlagerung von geometrischen Formgebilden um ein rotes Pferd herum.
Auf den Schultern ihres Rad fahrenden Untermanns sitzt fest bei George Grosz‘ getuschten Akrobaten von 1916 die Frau, eine eher clowneske Szene. Schärfer gerät, blass auf Braun, »Sie spielt Hündchen«: Ratlos blickt der Hund, wie sich sein Frauchen nackt erotisch auf dem Boden spreizt. Vom skandalumwitterten Rudolf Schlichter, KPD-Mitglied, stammt »Der gestiefelte Engel«, eine geflügelte Dame im Mieder als Anspielung auf den Amüsierbetrieb jener Jahre, mit Datum 1933 vielleicht auch ein verschlüsselter Hieb wider die Verführungstaktik der Nazis: Schmerzvoll umfängt im Hintergrund ein Mädchen die hilflose Mutter. Schlichters hellfarbig umwölktes Ganzporträt seiner Frau Speedy, auch sie in Stiefeln, darf als Meisterwerk gelten: Aus dem Profil wendet sie apart ihr Gesicht dem Gegenüber zu. Nüchterner rückt Christian Schad die Bankiersgattin Lisa Benkö ins Bild: Düster zwischen Bäumen sitzt sie im schwarzen Kleid, das den Kontrast zur hellen Haut noch hebt, eine bleiche Rose im Schoß haltend, und sieht ernst in die Weite. Armand Boutens »Rotes Bordellzimmer« schließt, obgleich weniger prägnant, an die Gesellschaftskritik etwa von Grosz und Dix an. Eher katzenhaft mit ihren Dreiecksköpfen wirken seine Dämchen, grotesk jedoch allemal. Leblose Mensch-Tier-Wesen stellt sein holländischer Kollege Johan Buning in ein Stillleben aus dem Krisenjahr 1929. »Mann und Frau« bei Hanny Korevaar sind kein Paar; er ein schlafender Mephisto mit rotem Käppi überm weißen Gesicht, sie sieht mit großen Augen nach oben, auf einen beide trennenden Bildteppich mit rankender Calla, als klinge der Jugendstil nach; Tiere funkeln fantastisch aus dem Dunkel auf. Beinah bedrohlich mutet auch Albert Birkles »Blick auf den Mühlendamm« an, mit dampfenden Spreekähnen, gedrängten Häusern zu beiden Ufern, Schloten und Kirchtürmen in der Ferne.
Hugo Scheibers »Frau mit Glas« ist konstruiert aus Segmenten, mit symmetrisch gewelltem Haar und rotem Dreieck als Mund. Toon van den Muysenberg hat seine »Einsame Dorfstraße« ganz filigran in Öl gemalt, eine Wegbiege, real wie ein Foto. Mit der Feder hat Heinrich Hoerle seinem Männerkopf einen ägyptisch überlängten Rückschädel angezeichnet. In der Ausstellung stößt er auf die Gouache vom Eiffelturm, wie Otto Freundlich ihn eine Dekade später, symptomatisch für den Stilpluralismus, sich über einem Farbraster erheben lässt. Auf einen Fluchtpunkt gerichtet sind Hannah Kosnick-Kloss‘ Kompositionen von 1940, auch dies womöglich Zeitkommentar. Einzige Plastik: William Wauers poliertes Bronzeporträt der Herbert-Walden-Gattin Nell von 1918.
Bis 15.5., Galerie Brockstedt
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