Keine Kapazitäten für Hygienekontrollen
Im öffentlichen Gesundheitsdienst bleiben immer mehr Stellen unbesetzt
Die Wurzeln unseres heutigen öffentlichen Gesundheitsdienstes reichen ins 19. Jahrhundert: Rudolf Virchow regte in Berlin um 1870 den Bau einer Kanalisation sowie einer zentralen Trinkwasserversorgung an, außerdem auch die obligatorische Trichinenschau bei Schlachttieren. Heute gibt es bundesweit etwa 400 Gesundheitsämter und weitere Einrichtungen, in denen 17 000 Mitarbeiter für die allgemeine Hygiene, Trinkwasserüberwachung, Schuleingangsuntersuchungen oder Umweltmedizin zuständig sind, um nur einige der vielen Aufgaben zu nennen. Jedoch haben aktuell viele Ämter zu kämpfen, die teils schwachen Finanzen der Kommunen wirken sich auch hier aus. Anlässlich des jährlichen Kongresses der Ärzte und Zahnärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst, der kürzlich in Berlin stattfand, verwies Ute Teichert-Barthel, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) auf wachsende Anforderungen. Im Bereich der Krankenhaushygiene wurden zwar nach den entsprechenden Verordnungen der Länder den Kliniken Auflagen gemacht, dass sie nun Hygienebeauftragte einstellen müssen. Bei den kontrollierenden Gesundheitsämtern wurde personell aber nicht nachgezogen, so die Kritik.
Nachwuchssorgen gibt es hier schon seit längerem. Das ärztliche Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst wird deutlich schlechter bezahlt als in Kliniken - und immer älter. So arbeiteten 2011 hier bundesweit nur noch 11 Fachärzte unter 40 Jahren. Die Mediziner verdienen pro Monat rund 900 Euro weniger als in einem kommunalen Krankenhaus. Nach Statistiken der Bundesärztekammer handelt es sich um die einzige Facharztgruppe, deren Stärke in den letzten Jahren abnahm, zwischen 2000 und 2011 um knapp 20 Prozent. Entsprechend blieb jede siebente Facharztstelle länger als ein halbes Jahr unbesetzt. Der theoretisch existierende Pool von Ärzten im Ruhestand lasse sich in Notfällen - etwa bei Pandemien - nicht so einfach und sicher nutzen, wie es nötig wäre, erklärte Teichert-Barthel.
Stellen sind nicht nur unbesetzt, sie fehlen schlicht. Nicht nur Ärzte, auch Sozialarbeiter sind im öffentlichen Gesundheitsdienst knapp. In Berlin reichen die Kapazitäten nicht mehr aus, jede Familie bei der Geburt des ersten Kindes zu besuchen, kritisierte Claudia Kaufhold vom örtlichen BVÖGD. Im Gesamthaushalt muss gespart werden, bis 2016 insgesamt 20 000 Stellen. Schon heute bleiben in den Gesundheitsämtern Aufträge liegen. Problematisch kann das etwa bei Einschulungsuntersuchungen werden: Sind diese nicht bis Mai abgeschlossen, können die Schulen nicht mehr rechtzeitig einen eventuell nötigen zusätzlichen Förderbedarf planen. Auch psychisch Kranke können nicht mehr aufgesucht oder eingeladen werden, um über ihre Wiedereingliederung oder eine Rehabilitation zu sprechen und auf Hilfsmöglichkeiten hinzuweisen.
Eigentlich sollen die Ämter und weitere Einrichtungen gerade für jene Menschen da sein, die wegen fehlender Versicherung keinen Zugang zum Gesundheitswesen haben. Die Politik müsse dafür sorgen, dass die sogenannte dritte Säule des Gesundheitssystems auch weiterhin ihre Aufgaben erfüllen kann, so die Forderung des Fachkongresses.
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