Die Beste unter den Kleinen
MEDIENgeschichte: Linke Monatszeitung »Leipzigs Neue« feiert 20-jähriges Bestehen
Der Anspruch ist hoch, das Geld knapp: So sieht der Alltag vieler linker Blätter aus. Um so bemerkenswerter ist ein Jubiläum, das »Leipzigs Neue« jetzt begeht: Die Monatszeitung für Politik, Kultur und Geschichte wird 20 Jahre alt. Die »Macher« der Zeitung hatten schon in der ersten Ausgabe einen guten Riecher für politische Brisanz: Die Privatisierung kommunaler Wohnungen war das Titelthema einer Zeitung, die im Juni 1993 in Leipzig erstmals erschien. »Leipzigs Neue« hieß das Blatt, mit dem eine Handvoll Journalisten die Medienlandschaft der sächsischen Stadt um eine bis dahin fehlende Facette bereichern wollten: um eine Zeitung, die dezidiert links ist. Gewünscht hätten sich die Gründer eine Wochenzeitung, doch das Startkapital von 20 000 Mark gab das nicht her. So landete das Blatt alle 14 Tage bei den Abonnenten im Kasten.
Seit ein paar Jahren muss der Lesestoff einer Ausgabe für vier Wochen reichen. Das eigentlich Bemerkenswerte aber ist: Er wird weiter zuverlässig geliefert. Anders als viele vergleichbare Zeitungsprojekte der 90er Jahre hat »Leipzigs Neue« überdauert - »obwohl auch wir stets ein wenig am Abgrund entlang schlittern«, sagt Michael Zock. Der Rundfunkjournalist stieß 2008 zum Blatt und übernahm kurz darauf die Leitung der Redaktion von Maxi Wartelsteiner, der langjährigen Chefredakteurin. Unter seiner Ägide wurde das Layout aufgefrischt und aus der Zweiwochen- eine Monatszeitung, deren Umfang zugleich von 24 auf 36 Seiten wuchs. Gleich geblieben ist der Anspruch, gut lesbare und gründlich recherchierte Reportagen und Analysen aus, wie es im Untertitel heißt, »Politik, Kultur und Geschichte« zu liefern. Dabei wolle man, sagt Zock, »Haltung zeigen und den Nerv der kleinen Leute treffen« - und man möchte »weg vom Blätt'l-Charakter«.
Als »Blätt'l« werden gelegentlich etwas despektierlich die »kleinen Zeitungen« bezeichnet, die bundesweit von Orts-, Kreis- oder Landesverbänden der Linkspartei herausgegeben werden und unter denen auch »Leipzigs Neue« oft subsumiert wird. Das freilich ist schon formal nicht ganz korrekt: Das Leipziger Blatt erscheint in Regie des Vereins »Projekt linke Zeitung« und ist, wie in dessen Statut ausdrücklich vermerkt ist, unabhängig von Parteien. Die Redaktion lasse sich, sagt Zock, in thematische Auswahl und inhaltliche Akzentsetzung nicht hineinreden. Zugleich müssen die Geschichten ihre Leser so fesseln, dass diese auch bereit sind, dafür zu bezahlen: »Leipzigs Neue« wird nicht kostenlos verteilt, sondern im Abo und sogar am Kiosk kauft. Leser gibt es auch in Hamburg und München. Einer wohnt, merkt Vertriebschef Ralf Fiebelkorn an, sogar in der Schweiz.
Ein Grund dafür sind auch deutliche qualitative Unterschiede zu den »kleinen Zeitungen«. Die tragen Namen wie »Das rote Gingko-Blatt«, »Typisch links« oder »Der klare Blick« und werden vor allem im Osten in nahezu jedem Kreisverband verlegt - wobei ein genereller Überblick bis jetzt fehlt, erklärt Simone Hock vom Sprecherrat der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) »Rote Reporter«: »Den verschaffen wir uns gerade«, sagt die Zwickauerin. Unabhängig von der Zahl solcher Blätter steht fest, dass diese in der Regel eher Chronistenpflicht als journalistischen Anspruch erfüllen - wobei es durchaus Unterschiede gebe, sagt Klaus Czernitzki, BAG-Mitglied aus Sachsen-Anhalt: »Das reicht vom puren Abdruck langer Reden auf Parteitagen bis zur interessanten Berichterstattung über die Kommunalpolitik.« In aller Regel stehen indes das Parteileben und die Aktivitäten von Mandatsträgern im Fokus der Aufmerksamkeit - was nicht verwundert: Die Blätter richten sich vorwiegend an Mitglieder und Sympathisanten der Linkspartei, auch wenn viele Redakteure den Anspruch hätten, breitere Leserkreise zu erreichen, sagt Thomas Barthel, Sprecher des Berliner Landesverbandes: »Doch ob man diesem Anspruch gerecht wird, gilt als umstritten.«
In »Leipzigs Neue« finden sich keine Berichte von Parteitagen, dafür aber Geschichten zum Streit um Straßennamen in Leipzig, zum Thema Schulessen oder der Occupy-Bewegung. Der Blick geht zudem über die Stadtgrenzen hinaus: Eine Sozialreportage aus dem Ruhrgebiet erschien zuletzt ebenso wie eine Analyse zur »eingesperrten Demokratie« in Ungarn. Zu den festen, beliebten Rubriken gehören zudem eine kritisch-ironische Schau auf andere Medien und die satirischen »Notizen aus der Hauptstadt« sowie ein Gerichtsbericht. Dazu kommen ambitionierte journalistische Projekte etwa zur Stadtgeschichte: Eine Serie über Leipziger Straßennamen brachte es immerhin auf 116 Folgen.
Aus der breiten Masse der »kleinen Zeitungen« sticht das Blatt damit deutlich heraus. »Leipzigs Neue« sei, formuliert ein Kenner der linken Medienlandschaft, »die Beste unter den Kleinen« - ein Bonmot, das Zock durchaus als Lob versteht. Es gilt umso mehr angesichts der begrenzten personellen und materiellen Ressourcen. Zwar sind diese nicht ganz so begrenzt wie bei einer »kleinen Zeitung« in Sachsen, deren Macher klagt, redaktionelle Arbeit finde wegen der groß gewordenen Entfernungen seit der Kreisreform praktisch nicht mehr statt. In Leipzig sind die Wege kürzer; zudem ist die Redaktion, die aus fünf Aktivisten und einem Stamm von bis zu 40 Autoren besteht, gut vernetzt und eine verschworene Truppe.
Dennoch entsteht auch »Leipzigs Neue« fast ausschließlich in ehrenamtlicher Arbeit und hätte ohne ein gerüttelt Maß an Leidenschaft und Selbstausbeutung die zwei Jahrzehnte wohl kaum überstanden: »Vieles geht nur, wenn man brennt und etwas verrückt ist«, sagt Zock. Selbst von einer Grippewelle wie im zurückliegenden Winter lassen sich die Blattmacher nicht bremsen - und arbeiten teils vom Krankenbett aus. Ein Indiz dafür, dass Anspruch und Atmosphäre zu stimmen scheinen: »Wir können nicht mit Geld locken«, sagt Zock, »aber damit, dass sich die Leute bei uns wohlfühlen.«
Das gilt hoffentlich auch für die Leser, die bei einer Jubiläumsmatinee am 11. Mai im Central-Kabarett mit den Machern von »Leipzigs Neue« feiern und danach das Blatt alle vier Wochen weiter fleißig lesen können - demnächst auch in einem verbesserten Internetauftritt. Zum Geburtstag hat Zock im Übrigen einen besonderen Wunsch. Das Blatt möge, hofft er, nicht nur noch etliche Jahre erscheinen, sondern auch wissenschaftliches Interesse erwecken: »Es wäre schön, wenn Leipzigs Neue einmal Gegenstand einer Doktorarbeit würde.« Möglicher Titel: Unter den Kleinen - die Beste.
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