Im Haifischbecken

Weg mit dem Euro? Zu Oskar Lafontaines Euro-Vorschlägen und den Reaktionen darauf

  • Sascha Stanicic und Lucy Redler
  • Lesedauer: 10 Min.

Oskar Lafontaine hat vorgeschlagen, den Euro schrittweise durch die Wiedereinführung nationaler Währungen und eines Europäischen Währungsmechanismus (wie er vor der Einführung der Gemeinschaftswährung existierte) zu ersetzen. Das hat eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst, die lange überfällig war, und ihm viel Widerspruch aus den eigenen Reihen der Partei DIE LINKE eingebracht. Lafontaine hat Recht, den Euro zu kritisieren. Doch er hat Unrecht mit der Annahme, dass eine Abschaffung des Euro im Rahmen der kapitalistischen Marktwirtschaft die sozialen Probleme in Europa und die Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems nachhaltig und qualitativ beheben könnte.

EU und Euro sind Projekte der Herrschenden in Europa, vor allem der starken Kapitalistenklasse in Deutschland und Frankreich, zur Durchsetzung ihrer ökonomischen und politischen Interessen – gegen die Konkurrenten in den USA, Asien und anderswo und gegen die Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter in den europäischen Staaten.

Viele linke Gruppen inklusive der damaligen PDS lehnten die Einführung des Euro richtigerweise ab – nicht aus nationalen, sondern aus sozialen Gründen. Die Maastrichter Konvergenzkriterien wurden als Mittel zur Senkung des Lebensstandards, zur Privatisierung und Deregulierung eingesetzt. Der Euro verschärfte die Konkurrenz unter den abhängig Beschäftigten und vergrößerte die Kluft zwischen den armen und weniger armen Regionen in Europa. Er war und ist kein Mittel zu einer tatsächlichen Vereinigung Europas. Im Gegenteil: eine wirkliche – demokratische und zu sozialem Fortschritt führende – Vereinigung Europas ist auf Basis der kapitalistischen Profitlogik nicht möglich. Der Euro wird früher oder später an den dem Kapitalismus innewohnenden Krisen und den daraus resultierenden nationalen Spannungen scheitern – ein Prozess, der mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise seit 2007 eingesetzt hat.

Der Euro ist nicht die Ursache der Krise

Doch der Euro ist nicht die Ursache der Krise. Ein Blick nach Großbritannien, Island und in die USA reicht, um das festzustellen – denn dort gibt es nationale Währungen und diese Länder sind, wie so viele andere auch, trotzdem von der sich seit 2007 entwickelnden Weltwirtschaftskrise betroffen. Der Euro spielt natürlich eine Rolle dabei, wie die Euro-Länder mit der Krise umgehen können. Die Regeln der Europäischen Währungsunion und die Tatsache, dass keine Möglichkeit besteht, eine nationale Währung ab- oder aufzuwerten, engen den Spielraum zur Ergreifung von Maßnahmen gegen die Krise ein.

Daher ist es kein Wunder, dass in den besonders von der Krise betroffenen Ländern, wie Griechenland und Zypern, eine Diskussion stattfindet, den Euro zu verlassen. Die Linke in Deutschland muss deutlich sagen, dass diese Opfer der Merkelschen Euro-Politik und der Troika das Recht haben, den Euro zu verlassen – wenn sie es in Volksabstimmungen beschließen sollten. Ein Austritt aus der Gemeinschaftswährung bei Aufrechterhaltung der grundlegenden kapitalistischen Struktur von Wirtschaft und Staat, würde aber auch für diese ausgepressten Länder keine Lösung bedeuten, sie wären weiterhin den internationalen Märkten ausgesetzt und die Wirkung der dann zu erwartenden Abwertung einer neuen nationalen Währung wäre zwar einerseits eine Verbilligung von Exporten, aber andererseits eine Verteuerung der Importe, ein mögliches Abschneiden von den internationalen Kreditmärkten und eine steigende Inflation (Preise steigen, Löhne sind weniger wert). Es würde indirekt zu einer Verarmung der Bevölkerung kommen, so wie heute direkt durch massive Kürzungen der Löhne und Sozialleistungen eine Verarmung herbeigeführt wird.

Warum? Weil die tiefere Ursache der Krise in den Widersprüchen des Kapitalismus selbst liegt. Es gibt nicht ausreichend profitable Anlagemöglichkeiten in der so genannten Realwirtschaft für die gigantischen weltweit bestehenden Kapitalmengen. Deshalb ist das Kapital zur exzessiven Spekulation übergegangen, die wiederum zu exorbitanter Verschuldung, Aktien- und Immobilienblasen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten führt. Wie Marx und Engels ausführten, ist der Kapitalismus eine Gesellschaft, in der es zu Krisen aus Überfluss kommt. Der Euro war im wesentlichen der Versuch in einer Situation verschärften internationalen Konkurrenzkampfes eine bessere Wettbewerbssituation für die europäischen Kapitalisten zu erreichen. Es gab also keine Konstruktionsfehler beim Euro, sondern der Euro selber ist Ausdruck der „fehlerhaften“ oder besser: nicht funktionierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise

Die Haltung der Führung der Linkspartei

Lafontaines Vorschlag ist auf viel Widerspruch gestoßen. Einige versuchen ihn, in eine nationalistische Ecke zu stellen. Das ist ungerechtfertigt, denn erstens ist seine Haltung ist nicht nationalistischer, als die Unterstützung eines Euro, der als Waffe der deutschen Kapitalistenklasse in ganz Europa eingesetzt wird. Und zweitens artikuliert er zumindest sozialpolitische Forderungen, die im Interesse der Arbeitenden und Erwerbslosen liegen (wenn er auch immer wieder fälschlicherweise impliziert, die Löhne in Südeuropa seien in den letzten Jahren zu stark gestiegen).

Immerhin hat Lafontaine eine notwendige Debatte angestoßen, wenn er auch falsche Antworten gibt. Viel problematischer sind die Reaktionen auf seinen Vorstoß aus Teilen der LINKEN-Führung, die nun im Tagesrhythmus Bekenntnisse zum Euro abgeben und ein solches sogar in den neuen Entwurf für das Bundestagswahlprogramm aufgenommen haben. Damit verpassen sie die Chance, sich beim derzeit wichtigsten politischen Thema unmissverständlich von dem pro-kapitalistischen Parteienkartell aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen abzugrenzen und die vielen Euro-Skeptiker nicht nationalistischen Kräften wie der „Alternative für Deutschland“ zu überlassen. Unter den Euro-Skeptikern gibt es nicht nur nationalistische Nostalgiker. Die meisten Menschen verbinden den Euro mit Preissteigerungen und der derzeitigen Krise und sehen ihn aus sozialen Gründen kritisch. Umso wichtiger ist, dass eine linke Kraft, die die Interessen der Arbeiterklasse vertritt, Euro-kritische Positionen einnimmt.

Michael Schlecht, gewerkschaftspolitischer Sprecher im LINKE-Parteivorstand, hat sich nun mit einem Beitrag in die Debatte eingeschaltet, in dem er Lohnerhöhungen in Deutschland zur Rettung des Euro fordert. Seine Argumentation ist dabei höchst widersprüchlich. Einerseits erklärt Schlecht, dass Deutschland die Krise dadurch in andere Länder exportiert hat, indem es durch Senkung von Löhnen und Sozialleistungen (so genannte innere Abwertung) seine Wettbewerbsfähigkeit gesteigert hat. Er fordert höhere Löhne, um die Außenhandelsüberschüsse Deutschlands zu senken, was also einer Verschlechterung der Wettbewerbssituation der deutschen Konzerne gleich käme. Gleichzeitig verteidigt er den Euro, weil ein Ende desselben zu massiver (äußerer) Aufwertung einer nationalen deutschen Währung führen würde und so – die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Konzerne untergraben würde. Er verzichtet leider darauf hinzuweisen, was der Kern des Problems ist: der Wettbewerb selbst, also die auf Konkurrenz und Profitmaximierung ausgerichtete Struktur der kapitalistischen Ökonomie.

Sozialer Kurswechsel und kapitalistischen Bedingungen?

Diese Konkurrenz wirkt zerstörerisch – egal ob innerhalb eines Währungsraums oder zwischen Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Währungen. Das würde auch in einem europäischen Währungssystem (in dem die Wechselkurse in einem kontrollierten Rahmen auf- und abwerten könnten) gelten, wie Oskar Lafontaine es nun vorschlägt. Diese Erfahrung hat Europa auch hinter sich: in den 1970er Jahren gab es in Europa die so genannte „Währungsschlange“, die unter dem Eindruck der ersten Weltwirtschaftskrise nach dem Nachkriegsaufschwung scheiterte; das 1979 gegründete Europäische Währungssystem (EWS) fiel aufgrund der Rezession im Jahr 1992 auseinander.

Diese Erfahrungen zeigen ebenso wie die gegenwärtige Euro-Krise: in Zeiten wirtschaftlicher Krise setzen sich die Zentrifugalkräfte in Europa durch, weil das kapitalistische System weiterhin in Form nationaler Volkswirtschaften strukturiert ist und die Kapitalistenklassen weiterhin einen nationalen Charakter haben. Auch im Falle von nationalen Währungen haben die starken Volkswirtschaften tausende Mittel und Wege ihre Dominanz auszuüben. Eine nationale Währung mag gewisse Schutzmechanismen ermöglichen, die heute nicht vorhanden sind. Aber die Kehrseite der Medaille wäre Inflation, steigende Zinsen zur Kreditfinanzierung etc. für die schwachen Länder und entsprechende Konsequenzen für den Lebensstandard der Bevölkerung. Ein Ende der Austeritätspolitik würde sich daraus nicht ergeben.

Katja Kipping und Bernd Riexinger haben sich auch für den Euro ausgesprochen. Kipping spricht von der Notwendigkeit einer koordinierten europäischen Sozial- und Wirtschaftspolitik, einer gemeinsamen Finanzpolitik und der Umverteilung von Reichtum von Oben nach Unten. Wie das alles im Rahmen der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft erreicht werden soll, verrät sie uns nicht. Wenn das aber nicht beantwortet wird, kommt jedes positive Bekenntnis zum Euro einer Entsolidarisierung mit jenen linken Kräften gleich, die den Euro heute in Zypern und anderswo in Frage stellen.

Kapitalismus vs. Vernunft

Lafontaine selber gibt zu, dass seine frühere Unterstützung für den Euro auf der fatalen Hoffnung basierte, dieser könne „auf allen Seiten ökonomische Vernunft“ erzwingen. Woher er diese Hoffnung nahm, erklärt er nicht. Warum aber ein Europäisches Währungssystem nun Vernunft in ein System bringen soll, dessen einzige Rationalität in der Profitmaximierung liegt, bleibt wiederum Lafontaines Geheimnis.

Die Positionen sowohl der Euro-GegnerInnen, als auch der Euro-BefürworterInnen in der LINKEN kranken an der illusorischen Vorstellung, man könne durch eine „vernünftige“ Finanz- und Wirtschaftspolitik im Rahmen der auf Macht- und Eigentumskonzentration basierenden kapitalistischen Ökonomie die Entwicklung wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen unterschiedlich starken Volkswirtschaften verhindern. Daran krankt auch Sarah Wagenknechts Argumentation, „niemand brauche über ein mögliches Auseinanderbrechen der Währungsunion und Alternativszenarien nachzudenken“, wenn „Deutschland die jahrelangen Lohnsenkungen und Sozialkürzungen durch überproportionale Reallohnsteigerungen, höhere Renten und bessere Sozialleistungen wieder ausgleicht“. Die Vorstellungen von Lafontaine, Schlecht, Kipping und Wagenknecht entsprechen - alle auf ihre Art - der Idee, man könne in einem Haifischbecken eine gerechte Verteilung des Futters erreichen.

Unsere Antwort: die Systemfrage stellen

Die Antwort auf die Frage nach Euro oder nationalen Währungen muss in einer Gegenfrage bestehen: wer kontrolliert die Finanzpolitik und die Ökonomie? Wem gehören die Banken und Konzerne? In wessen Interesse wird gewirtschaftet? Wenn die Arbeiterklasse eines Landes darin erfolgreich sein sollte, eine sozialistische Regierung zu etablieren, die die Banken und Konzerne verstaatlicht, Kapitalverkehrskontrollen einführt, die Zahlung der Auslandsschulden einstellt, den Sozialabbau beendet und massive Investitionsprogramme in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umwelt und Soziales zur Schaffung von Arbeitsplätzen einleitet – wird ein solches Land wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit aus dem Euro geworfen. Dann muss es natürlich zur Einführung einer eigenen Währung übergehen, aber nicht die Währung als solche wäre dann das Mittel zur Krisenbewältigung, sondern die sozialistische Politik einer solchen Regierung. Und diese Politik müsste beinhalten, die Völker Europas dazu aufzurufen, es ihr nachzumachen, die Kapitalisten zu verjagen und einen neuen, sozialistischen und demokratischen Staaten- und Währungsverbund einzugehen.

Wenn heute Volksabstimmungen zur Frage des Euro in irgendeinem Land Europas durchgeführt würden, müssten linke Parteien dazu aufrufen, gegen den Euro zu stimmen. Die Solidarität der deutschen Linken müsste ihnen dann sicher sein. Alles andere wäre eine Stimme für die Fortsetzung der zerstörerischen Troika-Politik unter dem Diktat aus Berlin und Brüssel. Aber sie müssten gleichzeitig klar machen, dass ein solcher Schritt alleine kein Problem lösen wird.

Deshalb ist es sowohl falsch, wenn DIE LINKE sich für „die Rettung des Euro“ ausspricht, als auch wenn andere linke Kräfte einfach nur einen Austritt aus dem Euro fordern. Die Antwort auf die Währungsfrage muss eine sozialistische Beantwortung der Systemfrage sein. Diese Art der Beantwortung beginnt mit einem kompromisslosen Kampf gegen die Austeritätspolitik in ganz Europa. Das Nein zu Entlassungen, Privatisierungen, Sozialabbau und Abbau demokratischer Rechte muss aber verbunden werden nicht mit der Illusion, man könne dem Kapitalismus Vernunft beibringen (oder aufzwingen), sondern mit der Idee des Sturzes des Kapitalherrschaft. EU und Euro sind nicht in einem sozialen Sinne zu reformieren, wie auch das ganze auf Ausbeutung beruhende System nicht sozial umzugestalten ist. Vor dieser Schlussfolgerung schrecken leider alle LINKE-ProtagonistInnen, die sich in dieser Debatte zu Wort gemeldet haben zurück: eine sozialistische Demokratie ist zur alternativlosen Notwendigkeit geworden, um der zerstörerischen Krise ein Ende zu machen!

Lucy Redler und Sascha Stanicic sind BundessprecherInnen der Sozialistischen Alternative (SAV) und aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.