Ver.di diskutiert sich
In der Dienstleistungsgewerkschaft existiert ein neues Netzwerk aus linken Hauptamtlichen
»Linke Hauptamtliche in ver.di«, kurz »links in ver.di« – so heißt ein neuer Zusammenschluss von derzeit rund 70 Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretären. Entstanden sei das Netzwerk innerhalb der Dienstleistungsgewerkschaft aus »Diskussionen um eine andere Tarifarbeit und Gewerkschaftspolitik«, erzählt Jan de Vries, der von Anfang an dabei war. Der 60-Jährige war zuletzt im Landesvorstand Niedersachsen für Mitgliederentwicklung zuständig. Jetzt ist er in Altersteilzeit und von der Arbeit freigestellt.
Kürzlich hat das Netzwerk sein Selbstverständnis veröffentlicht. Es will »Anlaufpunkt, Diskussions- und Lernort sowie Strömungstreffen linker Hauptamtlicher in ver.di« sein, heißt es in dem kurzen Papier. Dazu gehört das Eintreten für eine konflikt- und basisorientierte Gewerkschaft und eine »klassenkämpferische, internationalistische Ausrichtung«. Co-Management und Standortnationalismus werden abgelehnt. Des Weiteren plädieren die Hauptamtlichen für eine beteiligungsorientierte Betriebsarbeit und eine Demokratisierung der Tarifarbeit – weg von der Stellvertreterlogik, »nach der einzelne Funktionär_innen die Interessen der Beschäftigten und ver.di Mitglieder vertreten«.
In den Zielen spiegelt sich die Zusammensetzung des Netzwerks wider. »Viele der KollegInnen im Netzwerk kamen aus Organizing-Projekten oder hatten vorher bei Blockupy oder dem Umfairteilen-Bündnis mitgemacht«, erzählt Jan de Vries. Ein guter Teil sind also Hauptamtliche, die in den vergangenen Jahren experimentiert haben mit neuen Streikformen, Kampagnenpolitik und der starken Einbindung von Mitgliedern in Entscheidungen.
»Aber wir haben die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen«, betont ein anderes Netzwerk-Mitglied. »Das sind die Ziele, über die wir innerhalb unserer Gewerkschaft diskutieren möchten.« Er sehe viele positive Entwicklungen in ver.di, die Anzahl der Streiks nähme zu, die Tarifauseinandersetzungen würden demokratischer, mit mehr Beschäftigtenbeteiligung geführt, die Zahl der Mitgliederentscheide steige. Er will die Veränderungen vorantreiben, das sei der Grund, weshalb er sich an dem Netzwerk beteilige. Aber wichtig dabei sei: »Was uns zusammenbringt, sind die gemeinsamen Fragen. Wir haben keine fertigen Antworten.«
Das Netzwerk, das irgendwann auch Ehrenamtlichen und dann allen ver.di-Mitgliedern offenstehen soll, sei der Ort, »an dem wir strategische Debatten in die Organisation tragen können«. Die Veröffentlichung des Selbstverständnises sei daher ein richtiger Schritt gewesen, um zu zeigen, »das wir kein elitärer Zirkel sind, sondern konkret ansprechbar«, sagt der Gewerkschafter. Er spricht sehr eindringlich. Die Sache liegt ihm am Herzen, das ist auch durchs Telefon zu spüren.
Beim ver.di-Vorstand weiß man von dem Netzwerk indes noch nichts. Sprecher Christoph Schmitz sagte am Mittwoch auf nd-Anfrage, den Namen »links in ver.di« hätten weder er noch der Bundesvorsitzende Frank Bsirske gehört. Bekannt sei, dass es Menschen gibt, die sich an der Streikkonferenz kürzlich in Stuttgart beteiligt hatten. Und auch den offenen Brief gegen die Aufnahme von Verhandlungen für einen neuen Leiharbeitstarifvertrag, den mittlerweile fast 400 Gewerkschafter unterzeichnet haben, habe der Vorstand zur Kenntnis genommen – reichlich irritiert. Denn die Forderung, keinen neuen Tarifvertrag abzuschließen, wenn der noch gültige bald ausläuft, um endlich die gesetzlich festgelegte Gleichbezahlung zu erreichen, ist in den Gewerkschaften umstritten.
Die Debatten um neue Auseinandersetzungsformen laufen nicht nur in ver.di schon länger. Die gewerkschaftliche Schwäche der vergangenen Jahre hat ein grundlegendes Hinterfragen des eigenen Wirkens und tradierter Strukturen von Vertretung und Beteiligung notwendig gemacht. Nicht nur im ver.di-Bezirk Stuttgart wird darum seit längerem schon mit neuen Streikformen experimentiert.
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