Die Gestade der Strafprozessordnung
NSU-Prozess weigert sich, spektakulär zu werden
Wer an diesem Donnerstag um kurz vor neun Uhr in München in den Gerichtssaal 101 zum NSU-Prozess gelangen wollte, kam ohne Probleme herein. Weder das Kontingent der Zuschauertribüne noch der Presseplätze war ausgeschöpft. Das mochte auch daran liegen, dass das mediale und öffentliche Interesse in den ersten Tagen des Prozesses aufgelaufen ist - an den Gestaden der Strafprozessordnung. Anträge, Verfahrensfragen, immer wieder Unterbrechungen. Statt Sensationen ein geordnetes, trockenes, rechtstaatliches Verfahren.
Um 9.57 Uhr betraten die sieben Richter und der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Saal. Neben mir saß auf der Zuschauertribüne ein Jura-Student im zehnten Semester, vier dicke Bücher zur Strafprozessordnung vor sich auf dem Boden.
Der Gerichtssaal erscheint wirklich klein für all die Rechtsanwälte, Richter, Angeklagten und Polizisten. Er wirkt wie eine abgeschlossene Kammer, ohne Tageslicht ist der Sicherheitsbeton der 1970er Jahre. An der Stirnseite ist die Richterbank, rechts davon sitzen die Bundesanwaltschaft. Linker Hand die Angeklagten mit ihren Verteidigern. Den Richtern gegenüber, unter der Besuchertribüne, sitzen die Nebenkläger mit ihren Anwälten.
Ab 10.20 Uhr ging es darum, wer wann und wie sprechen darf. Eine Anwältin der Nebenklage hatte sich beschwert, dass das Mikrofon des Bundesanwalts immer offen sei, sie aber erst zugeschaltet werden müsse. Der Vorsitzende Götzl unterbrach die Verhandlung für 20 Minuten, um dieses technische Detail zu klären.
10.40 Uhr: Die Richter erschienen wieder, Götzl sagte, die Mikrofoneinstellung seien überall die selben. Es ging weiter mit Anträgen der Verteidigung: etwa den zur Aussetzung des Verfahrens wegen Einsicht in die Akten der parlamentarischen NSU-Ausschüsse. Das sind trockene, wenn auch wichtige Verfahrensfragen, die Zeit benötigen. Es geht sozusagen darum, wie das Fahrgestell des Gefährts beschaffen sein soll, mit dem man sich dann auf die Reise nach Schuld und Wahrheit begibt. Allerdings sind jetzt erst einmal Pfingstferien.
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Nach der Mittagspause gab Richter Manfred Götzl eine Reihe von Entscheidungen bekannt: Der Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße bleibt vorerst Teil des Verfahrens - es wird also keinen zweiten NSU-Prozess geben. Auch der Antrag auf Aufzeichnung der Verhandlung wird, so wie es die Bundesanwaltschaft wollte, abgelehnt. Eine Entscheidung gab es auch darüber, wer wann reden darf: Das bestimmt - wie gehabt - der Vorsitzende des Senats. Über eine ganze Reihe von Anträgen ist noch nicht befunden worden. Dazu gehört der nach der Einstellung des Verfahrens gegen Ralf Wohlleben. Auch Zschäpes Verteidiger hatten gefordert, den Prozess auszusetzen oder zu unterbrechen.
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