Heidi Klums Jüngerinnen
MEDIENgedanken: Germanys Next Topmodel
Da steht mal wieder ein Mädchen vor Heidi Klum und weiß nicht, wohin mit sich. Sie ist 19 Jahre alt, hat rote Haare und hat sich ungeschickt ausgedrückt. Die deutsche Automarke, für die sie und ihre Mitstreiterinnen, nun ja, vortanzen, suche bestimmt einen deutschen Typ, hat sie gesagt. Da ist die Empörung natürlich groß. Eine 20-jährige blonde Konkurrentin empört sich, solch einen deutschen Typ gäbe es doch gar nicht mehr.
Es wird nicht das einzige Mal bleiben, dass sie die Moralkeule zur Hand nimmt. Die steht jungen Damen, just der Pubertät entsprungen, traditionell besonders gut zu Gesicht. Und die dunkelhäutige junge Frau in der Runde, welcher der Satz zwar nicht explizit galt, drückt dennoch eine Träne aus dem Augenwinkel und wimmert, sie habe sich so sehr angestrengt, den Job zu bekommen. Sie wird das Casting schließlich gewinnen. Großer Jubel. Die Moral ist gerettet und der Juror am Set wird sagen, dass sie dem Spot auch eine gewisse »Internationalität« bringe.
Es sind also alle Zutaten da, die so ein klassisches Donnerstag-/Mädelsabend-Menü braucht: Tränen, Gezicke, Drama und Tränen. Alles schön bunt und reißerisch montiert. Und dazu noch ein paar Wohlfühl-Freaks, die sich aber der Form halber Laufsteg-Trainer oder dergleichen nennen. Doch die mittlerweile achte Staffel von »Germanys Next Topmodel« (GNTM) kann nicht an die Quotenerfolge der ersten Runden anschließen. Die Sendung funktioniert zwar unvermindert. Nicht zuletzt weil sich das Sendematerial so wunderbar anbietet, mit ordentlich Synergie bei »Red!« oder »TV Total« recycelt zu werden. Zumal das junge Publikum ein vergleichsweise homogenes, sprich weibliches, sprich werberelevantes ist. Doch die ganz großen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Wie schon andere Reality-Formate, ereilt auch GNTM das Dilemma der Abnutzung. Doch nicht nur auf Publikums-, auch auf Kandidatenseite.
So unterscheidet die Teilnehmerinnen früherer und der aktueller Staffeln vor allem eins: Die Kenntnis über die Show. Wer sich heute vor Heidi Klum und die Ja-Sager in ihrem Hintergrund stellt, weiß aus den vorangegangen Staffeln nur zu gut, was zu tun ist: Auf die Knie zu gehen und alles zu fressen, was man vorgesetzt bekommt. Das mag dem Beruf des Models wohl inhärent sein, aber die Show hat dabei das Problem, dass sie immer noch eine Geschichte erzählen will. Die ist vorgeschrieben und geht, ein paar Variationen eingerechnet, so: Die Mädchen haben keine Ahnung und am Ende hat Heidi, die das Potenzial der jungen Frauen schon immer geahnt hat, sie zu Persönlichkeiten geformt, die mit Handwerk und Charisma jeden Modeljob der Welt kriegen können.
Was diese Geschichte, ja im Grunde diese Heldenreise braucht, sind Charaktere. Oder besser: Veränderungen. Aber alle Mädchen haben schon in den ersten Staffeln gelernt, dass hier nichts so sehr den Erfolg bringt wie Unterwürfigkeit. Die Speichelleckerei und die Hörigkeit vor dem Business, welches Klum wieder und wieder mit einer faszinierenden Portion Loyalität präsentiert, sie wird den Damen nicht mehr antrainiert. Sie wird nur noch ausgestellt. Schließlich haben alle Kandidatinnen diese Lektion schon seit der ersten Show verinnerlicht - auf der Couch, damals, am Mädelsabend.
Deswegen wurden in der aktuellen Staffel auch die Mädchen kamerawirksam in ihrem heimatliche Umfeld abgeholt. Sprich: Sie wurden in Rollen gesteckt. Landei, Schüchterne, Fitnessfreak. Aus denen sollen sie schlüpfen, irgendwo zwischen dem ersten Foto für die Bewerbungsmappe und der Finalshow. Sie sollen keine Models sein, sie sollen welche werden. Das wäre eine Geschichte. Nur funktioniert das nicht so einfach, wenn die junge Dame aus traditionellem Hause zwar im Chor singt, ihr der Papa aber einen Laufsteg in den Keller baut, damit sie von früh auf üben kann. Aus diesem Grund wurde vor einigen Staffeln auch der ach so coole Thomas in die Jury geholt, der Klum die Rolle der autoritären Hexe wahlweise abnimmt oder ihr beisteht. Wenn das Format die Mädchen nicht widerspenstiger machen kann, muss es eben höhere Ansprüche stellen, an Loyalität und Opportunismus. Derlei fördert auch den Kampfgeist, der sich - wie so oft - innerhalb einer Gruppe entlädt und nicht gegen die Anführer. Mehr Druck, mehr Funken, mehr Storylines.
Das aktuelle Opfer heißt Meike. Sie ist die anfangs erwähnte 19-jährige Rothaarige mit der ungeschickten Ausdrucksweise. Auf sie hat sich die Gruppe eingeschossen. Das gemeinsame Feindbild stärkt. Der Clan gefällt sich in seiner politisch korrekten Verachtung des Schwachen und die Stress-Daumenschraube wird von Folge zu Folge angezogen. Bis eine heult. Meike wird natürlich noch ein paar Folgen dabei sein, so lange wie möglich, so kurz wie nötig. Bis die Geschichte aus ist und mit neuen, leeren Gesichtern wieder aufgerollt werden kann.
»Der Autor ist freier Journalist und Autor. Er arbeitet und lebt in München.«
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