Gemeingüter nicht ohne Menschenrechte
Commons-Bewegung will sich nicht zwischen Staat und Markt blockieren lassen
Weiden, städtische Gärten oder auch Software können gemeinschaftlich genutzt werden. Das ist die Idee hinter der Commons- oder Gemeingüterbewegung. Das Vordringen dieser Idee in weitere Bereiche gewinnt besonders in Krisenzeiten an Bedeutung, wenn Märkte und politische Institutionen versagen. Die Heinrich-Böll-Stiftung widmete dem Thema am Mittwoch eine Veranstaltung. Sie war zugleich Eröffnung einer Arbeitstagung, bei der über 200 Aktivisten und Wissenschaftler aus 30 Ländern unter dem Titel »Wirtschaft und Gemeingüter« gesellschaftliche Auswirkungen der Bewegung diskutierten.
Gegen die Privatisierung der Wasserversorgung stimmten 2011 über 27 Millionen Italiener. Für den römischen Rechtswissenschaftler Stefano Rodotà zeigt das, wie sich die Commons-Idee etabliert. Ebenso wie die Grundrechte sieht er die Aneignung als soziale Konstruktion, die neue Realitäten schafft. So entstünden - auch in juristischen Verfahren - Schnittstellen zwischen Commons, Menschenrechten und Demokratie.
Als weiteres Beispiel nennt Rodotà, in der Vergangenheit bereits unabhängiger Abgeordneter für Kommunisten und Linksdemokraten in Italien, den von Indien gekippten Patentschutz für das Leukämiemittel Glivec des Konzerns Novartis. Die Entscheidung ermögliche es dem Subkontinent, als »Apotheke für Entwicklungsländer« zu fungieren. Die Behandlungskosten reduzieren sich für die Patienten von 2500 Dollar pro Monat für das Originalpräparat auf 175 Dollar. Ähnliche Beschlüsse fassten Gerichte in Südafrika und Lateinamerika. Rodotà fragt aber zugleich, ob der Commons-Begriffs nicht inflationär verwendet werde. Fraglich scheint ihm die Verwendung im Zusammenhang mit Facebook, dem Onlinenetzwerk mit über einer Milliarde Nutzern. Zwar sei es damit quasi die drittgrößte Nation der Welt, aber ein Stimmrecht der Nutzer fehle.
Auch wenn der Begriff nur schwer ins Spanische zu übertragen sei, für Gemeingüter in Lateinamerika ist die Frage der Gemeinschaftsterritorien essenziell. Diese Auffassung erläutert die argentinische Soziologin Maristella Svampa an den Kämpfen gegen die extraktiven Industrien, die in vielen Ländern des Kontinents selbst fortschrittliche Regierungen - zur Enttäuschung ihrer Wähler - beeinflussen. Mais, Soja, Weizen, Holz, Wasser, Edelsteine und Mineralien werden immer stärker vermarktet - ohne Beteiligung der Bevölkerung. Der wachsende Bedarf an diesen Rohstoffen, auch durch starke Schwellenländer wie China, werde durch neue Abhängigkeiten und Privatisierungen gedeckt. Selbst linke Regierungen, so Svampa, suggerierten, dass es dazu keine Alternative gebe.
Gleichzeitig steige der Unmut, die Zahl der Konflikte um Bergbauprojekte wachse kontinuierlich. Zwar hätten Ecuador und Bolivien Grundrechte der indigenen Bevölkerung, um deren Lebensräume es häufig bei der Ausbeutung der Ressourcen geht, in ihren Verfassungen festgeschrieben, heute würden diese jedoch wieder eingeengt. Dennoch lenkte Svampa die Aufmerksamkeit darauf, dass die Natur in der Verfassung Ecuadors seit 2008 zum Rechtssubjekt deklariert wird: Solche Entscheidungen seien Ausgangspunkt und Stütze für Alternativen, sie ermöglichten indigenen Gruppen, ihre eigene Sicht auf gesellschaftlichen Fortschritt einzubringen. Daraus ableiten ließen sich auch stärkere Umweltkontrollen und höhere Steuern für Projekte in Bergbau und Landwirtschaft.
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