»Das Prinzip ist immer dasselbe«

Buchautor und Journalist Thomas Fricke über die Eurokrise und Fehler im Finanzsystem

  • Lesedauer: 7 Min.
Thomas Fricke ist einer der bedeutendsten Wirtschaftskommentatoren Deutschlands. Von 2002 bis 2012 war er Chefökonom der »Financial Times Deutschland«. Fricke wurde bereits mit dem Deutsch-Französischen Journalistenpreis und 2012 mit dem Preis für Wirtschaftspublizistik der Keynes-Gesellschaft 2012 ausgezeichnet. Jüngst erschien im Westend-Verlag sein Buch »Wie viel Bank braucht der Mensch«. nd-Redakteur Simon Poelchau sprach mit ihm über Banken᠆rettung und Spekulationsblasen.

nd: Als bekannt wurde, dass zunächst auch Kleinsparer für die Bankenkrise auf Zypern herhalten sollten - was wäre für Sie die ideale Überschrift gewesen?
Fricke: Es wäre kommentierend gewesen. Etwa: Jetzt soll Tante Erna zahlen.

Warum?
Es war einfach nicht nachvollziehbar, dass Kleinsparer zur Verantwortung gezogen werden sollten, weil große Banken durch das Ausufern der Krise im Euroraum derart in Schwierigkeiten geraten sind. Die zyprischen Banken sind ja vor allem deshalb so in Schieflage geraten, weil es 2011 den zweifelhaften Schuldenschnitt in Griechenland gab. Das hat eine ganze Kettenreaktion ausgelöst. Dafür jetzt den Kleinsparer zahlen zu lassen, ist absurd.

Der endgültige Rettungsplan sah eine Woche später die Zerschlagung der zweitgrößten Bank Zyperns, der Laiki-Bank, vor. Gibt es damit nicht einen Paradigmenwechsel in der Krisenpolitik?
Es hat zumindest den Anschein, als hätte man damit einen neuen Weg versucht. Doch so neu ist das nicht, weil man im Laufe der Zeit auch andere Geldhäuser schließen oder schrumpfen ließ.

Dass die Gläubiger der Banken jetzt beteiligt werden, wird aber meist als Fortschritt angesehen ...
Grundsätzlich ist das ja auch ein guter Gedanke. Es geht ja um eine systemische Krise, in der ein Einzelner die Risiken gar nicht einschätzen kann. Das wird klar, wenn man den Fall Zypern auf Deutschland überträgt. Wer hätte denn in den Jahren 2006 oder 2007 den Sparern der Commerzbank empfohlen, dass sie ihr Geld lieber woanders anlegen sollten. Niemand hat damals doch ernsthaft damit rechnen können, was dann passiert ist, dass diese Bank später verstaatlicht werden musste. Das Problem der Rettungspolitik ist eher, dass man im Moment relativ planlos mal dies, mal das versucht.

Hätte denn die Troika die Schließung der Banken befohlen, wenn es sich um die Deutsche Bank gehandelt hätte?
Wahrscheinlich nicht. In einem so kleinen Land wie Zypern, in dem die Banken relativ geringe Verbindungen zu anderen europäischen Finanzinstituten haben, ist das einfacher zu machen. Bei der Commerzbank wären die Auswirkungen für das Finanzsystem in Europa viel gravierender gewesen.

Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass die Banken zu groß geworden sind. Jetzt hat das EU-Parlament Maßnahmen zur Bankenregulierung beschlossen. Zum Beispiel sollen Boni für Manager gedeckelt werden. Ist das genug?
Nein. Die Boni sind im Grunde nur das Symptom des Problems. Das lässt sich populistisch leicht ausschlachten. Die Frage ist eher, warum Banker quasi über Nacht überhaupt so viel Geld machen können. Sonst könnten sie das ja als Boni auch gar nicht verteilen.

Was ist dann das Problem?
Die Banken haben im Gegensatz zu allen anderen Branchen die Möglichkeit, durch Kreditvergabe selber Geld zu schaffen. Sie können sich gegenseitig in Reichtum hinein spekulieren und Kreditblasen aufbauen.

Sie verwenden in Ihrem Buch das Beispiel der Bäcker...
Wenn Bäcker sich durch das gegenseitige Verkaufen von Brötchen reich spekulieren könnten und dadurch die Preise hochtreiben würden, hätten wir auch ein Problem mit Bonuszahlungen bei Bäckereiverkäuferinnen. Das Problem stellt sich bei ihnen aber nicht, es stellt sich auch bei Journalisten und in den meisten Branchen nicht.

Das Geld, das die Banken mit diesen Finanzspekulationen schaffen, ist doch aber nicht nachhaltig, weil ein materieller Gegenwert fehlt ...
Das ist gerade das Problem des Finanzsystems. Man redet viel über moralische Verwerflichkeiten, aber ich glaube, ein Banker ist nicht per se unmoralischer als der Aufsichtsratsvorsitzende eines Fußballvereins. Der Fehler ist, dass die Finanzmärkte Vermögenswerte hochtreiben, indem alle Beteiligten schlicht und einfach dem Herdentrieb folgen. Das war schon in der New Economy der 1990er Jahre so. Vor der jüngsten Finanzkrise gingen dann die US-amerikanischen Immobilienpreise hoch, was für alle der Anreiz war, auch da mitzumachen. Das Prinzip ist immer dasselbe.

Weil die Preise so hoch waren und jeder dachte, sie steigen weiter, kauften alle ...
Und das haben die Banken sehr stark ausgenutzt. Doch das ist ein stark virtuelles Phänomen. Mit der großen Finanzkrise ist die Vermögensblase dann geplatzt.

Die Spekulationsblasen, die Sie ansprechen, hat es aber schon seit Anbeginn des Kapitalismus gegeben, die berühmte Tulpenblase im Holland des 17. Jahrhunderts ...
Bei der Tulpenmanie ging es auch nicht um das reale fertige Produkt, da wurden die Preise für Tulpenzwiebeln gehandelt. Bei Rohstoffen ist das so ähnlich, da gibt es auch diese spekulativen Momente. Die Wellenbewegungen an Finanzmärkten werden dann auch dadurch beschleunigt, weil man kein reales Produkt liefern muss, sondern einfach mit virtuellen Werten spekuliert. Bei Autos oder Brötchen ist das nicht so einfach.

In Ihrem Buch vertreten Sie die These, dass in den letzten 30 Jahren die reale Wirtschaft an Dynamik eingebüßt hat, weil immer mehr Kapital in die Finanzsphäre floss. Aber sind nicht vielleicht umgekehrt die schwindenden Profite in der Industrie Schuld an der Ausweitung der Finanzmärkte?
Ich will nicht ausschließen, dass es auch andere Gründe gab. Aber die Entwicklung in der Finanzbranche hat auf vielen Kanälen dazu beigetragen, die Realentwicklung zu dämpfen. Es gibt dank der Wellenbewegungen enorme Renditen, die in der realen Wirtschaft selbst unter optimalen Bedingungen kaum flächendeckend erreichbar sind. Zudem führten die Aktienkursgewinne zu einem sehr starken Anwachsen der Vermögen bei sehr wenigen Reichen, also bei Leuten, die ihr Geld ohnehin nur noch zu einem kleinen Teil ausgeben. Hätte man eine gleichere Verteilung der Einkommen gehabt, dann hätte es eine stärkere Nachfrage gegeben, die wiederum der Realwirtschaft zugute gekommen wäre.

Hat die Politik nicht auch Mitschuld an der Entwicklung?
Ziemlich genau im Jahr 1982 hat es den Startschuss für diese Entwicklung gegeben. Das fing mit der Finanzmarktliberalisierung unter Ronald Reagan in den USA an und ging mit Margaret Thatchers Big Bang 1986 in Großbritannien weiter. Deutschland holte vieles von der Deregulierung der Finanzmärkte später nach. Man hat damals den Fehler gemacht, die Finanzbranche wieder ähnlich frei zu lassen wie in den 1920er Jahren, was damals zum großen Crash führte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte jüngst, dass die europäischen Staaten mehr sparen müssten, um unabhängiger von den Banken zu werden ...
Mit dieser Logik macht man den Bock zum Gärtner. Es ist relativ leicht erkennbar, dass die Staatsschuldenkrise eine Folge der Bankenkrise ist. Die Staaten haben sich so hoch verschuldet, weil sie die Banken retteten. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise 2007 waren die Staatsfinanzen in Ländern wie Irland und Spanien ja sogar historisch solide. Wie jeder gute Arzt sollten auch die Politiker bei den Ursachen des Problems ansetzen und nicht versuchen, Symptome zu bekämpfen.

Wie würden Sie dann die Banken bändigen?
Zunächst ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wichtig. Das würde dem Herdentrieb bei Spekulationen Einhalt gebieten, weil vor allem der Hochfrequenzhandel unattraktiver wird. Dabei kaufen und verkaufen Händler in Sekundenschnelle und nutzen kleinste Gewinnmargen aus, die mit einer solchen Steuer zum großen Teil wegfallen würden. Außerdem würde ich die Eigenkapitalanforderungen für Banken in Schritten auf 20 bis 25 Prozent erhöhen.

Würde das nicht die Krise verschärfen, weil Banken dann kaum noch Kredite vergeben?
Da schreien natürlich die Banken Alarm und prophezeien, dass da die Welt untergehen würde. Aber diese Eigenkapitalquoten gab es früher auch schon, und sie sind in der Industrie gang und gäbe. Selbst die Schweiz hebt die Quoten stark an. Dadurch würde viel weniger auf Kredit spekuliert.

Sie plädieren auch für ein neues internationales Währungssystem mit festen Wechselkursen ...
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es das Bretton-Woods-Währungssystem, in dem die Wechselkurse festgelegt waren. Das war auch gut für die Wirtschaft, weil es damals viel bessere Kalkulationsgrundlagen gab. Man musste nicht mit der Unsicherheit leben, dass die Mark etwa zum Dollar nächsten Monat schon wieder fünf oder zehn Prozent teurer oder billiger sein kann. In einem neuen Währungssystem müsste man aber aufpassen, dass die Wechselkurse automatisch neu justiert werden, sobald Zinsen und Inflationsraten zwischen Ländern auseinander laufen.

Wäre das auch eine Möglichkeit für die europäischen Krisenländer? Ihnen wurde mit dem Euro die Möglichkeit genommen, aktiv Geldpolitik zu betreiben ...
Zu dem jetzigen Zeitpunkt käme so ein Austritt aus dem Euro einem Himmelfahrtskommando gleich. So eine Abwertung ist ja kein Wundermittel, wie die Briten erleben. Die haben abgewertet und trotzdem kaum gewonnen. Das Problem ist: Sobald man anfängt, ein solches Währungssystem infrage zu stellen, wird man permanent unter den Spekulationsdruck der Finanzmärkte kommen. Es ist wahrscheinlich sinnvoller, das jetzige Eurosystem besser zu organisieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.