Nicht leicht, das Leichte
Bilder und Skulpturen von Matthias Zágon Hohl-Stein in der Manufakturgalerie
Geht man dieser Tage an der U-Bahn-Baustelle vorm Roten Rathaus vorbei, passiert man eine Info-Box mit der Einladung zu einem Blick in die Unterwelt, in der monströse Technik herrscht. Der Möchtegern-Flaneur schlägt sie aus. Das Buddeln in Berlins ältestem Stück Erde behelligt ihn obendrein, macht entspanntes Spazierengehen im bislang so attraktiven Areal unmöglich. Inmitten des Chaos von Gräben, Zäunen, Containern und von sich drängelnden Menschen denkt man bald: Fliegen wäre schöner. Als sei's ein Geschenk vom Himmel, tun sich da einige Schritte weiter, quasi am Eingang zum Nikolaiviertel, ein Fenster auf, eine Tür, ein Raum, in dem Seelenbeistand winkt und sich trefflich übers Sich-Aufschwingen meditieren lässt.
Manufakturgalerie heißt der sichere Hafen fürs beflügelnde Flug-Pläneschmieden mit anschaulichen Aufhilfen. Neben allerlei gemalten Engelsgestalten von leicht-sinniger Art gibt es da einen »Freifliegenden«, beispielsweise. Der Bursche ist eine baby-große Plastik aus Holz und Metall, die im ersten Galerieschaufenster, quasi dem Entree, am Bändchen von der Decke herabbaumelt, nein, (sich) frei fliegt. Geschaffen hat sie Matthias Zágon Hohl-Stein. Der 1952 in Koblenz geborene Künstler, der seit zwanzig Jahren bei Neuruppin lebt (Ateliers in Karwe und Lichtenberg), hat für die Ausstellung aus seinem vielfältigen, umfangreichen Werk Skulpturen und Bilder ausgewählt, die, mehr oder weniger, mit dem Fliegen, dem Synonym vor allem für Freiheit, zu tun haben.
Vom Gelingen zum Scheitern: Vom »Freifliegenden«, der glücklich zwischen Himmel und Erde schwebt, geht der Blick zum Gegenteil, zum Abgestürzten, also wieder zurück auf den Boden (der Tatsachen): Unter der Flugplastik steht, arg am Grund festhaftend, ein Ikarus (das Material ist ebenfalls Holz und Metall). Ob man will oder nicht: Auch der ist, wie der in der Luft Triumphierende, ein Typ, mit dem man sich unschwer identifiziert. Ein Flügel noch ist ihm am Arm geblieben, ein kleiner, von vornherein garantiert fluguntauglicher, und der ist ihm obendrein mehr wie eine Fessel auf den Unterarm gerutscht. Dass die Sache schiefgegangen ist, wenngleich noch glimpflich für ihn abgegangen, das sagt sein bedepperter Gesichtsausdruck, die Augenlider sind schuldbewusst oder nachdenklich niedergeschlagen. Ein mit goldenem Sonnenreif umrandeter Helm hält sich noch unverdrossen auf seinem Kopf, die rote (!) Badehose ist nicht nass geworden. Die angewinkelten, eng am Körper anliegenden Arme und die offen ausgestreckten Hände scheinen sachliche Feststellung und Selbstmotivation in einem zu sein: Ich hab's nicht gepackt, aber es müsste doch noch was werden. Ob dieser Ikarus gedacht ist als Allegorie auf Gesellschaftliches, ob er Künstlers Selbstbefragung spiegelt - eins steht fest: Die Geschichte, die die knuddelige, 80 Zentimeter große Figur erzählt, ist von ansteckendem Optimismus und Humor.
»Wer fliegen will, muss leicht werden« - diese aus Erfahrung gemachte, anleitende Aufforderung ist Titel der Ausstellung. Aber nicht nur. Der Satz beschreibt auch, wie es dem Betrachter ergeht, wenn er sich umgeschaut und mit den Kunst-Stücken beschäftigt hat: Man wird fröhlicher im Sinn, freier in den Gedanken, es wird einem eben leichter (ums Herz). Wer Zágon Hohl-Stein kennt, wird erklären, dass seine Werke ein Medium sind, sich mit dem stets schaffensfrohen, begeisterungssprühenden Künstler quasi zu synchronisieren. Griechische Mythen und Sagen oder die Bibel regen ihm den Sinn an, stiften den Titel des Kunstwerks. Doch er gibt die Gestalten und Gestaltungen ganz ohne das sonst oftmals schwere Pathos. Er holt sie zu uns als Zeitgenossen.
Die einfachste, sehr nachahmenswerte Möglichkeit, ins Fliegen zu kommen, zeigt ein Bild, auf dem ein Minotaurus eine nackte Liegende umarmt: die Liebe. Die macht Flügel! Etwas komplizierter hingegen erscheinen beim ersten Hinsehen die Flugversuche einiger Leute auf einem langen offenen Ruderboot. Sie haben große Sonnenschirme an ihm befestigt und fächeln die Luft für den Auftrieb unter ihnen mit den Rudern herzu. Kaum zu glauben: Es funktioniert.
Abgesehen vom Flugtechnischen, das zum Beispiel als Ratschlag auch mal einem wilden Tier mitgegeben wird - »Eine Bestie muss viele Vögel fressen, um fliegen zu können« lautet der Schriftzug auf dem Gemälde -, abgesehen von der Poesie, die wie ein zartes Netz von Lebensadern jedem Bild, jeder Skulptur innewohnt: Zágon Hohl-Stein ist ein Meister auch des Handwerks, der Formen, der Farben, der Materialien - diese oft auch in kühner, einzigartiger Kombination -, der künstlerischen Techniken. Er beherrscht alle. Und erfindet neue. Die Vliesbilder, zum Beispiel. Wie er sie macht, bleibt sein Geheimnis, aber das Halbrelief jeweils, das sich aus Farbschichten auf dem Vlies- und Metalluntergrund ergibt, es schimmert mit wechselndem Lichteinfall immer wieder anders. Schön und faszinierend, wie das Fliegen.
Auf geht’s nun, nach den Erlebnissen in der Galerie, mit Schwingen ins Freie, nicht zuletzt ins Ruppiner Land, den Skulpturengarten bei Karwe aufsuchen und die Spur aufnehmen, die Zágon Hohl-Steins Fantasie gelegt hat, oder seinem stählernen Parzifal Reverenz erweisen, der, 17 Meter hoch und wie ein Turm begehbar, im Neuruppiner See steht. Dieser Parzifal, er irrt nicht mehr herum, er steht und schweigt. Er ist angekommen.
Manufakturgalerie, Am Nussbaum 1/seitlich der Spandauer Straße: »Wer fliegen will muß leicht werden«. Bilder und Skulpturen von Matthias Zágon Hohl-Stein. Bis 24. Juni, Mo-Di, Do-Sa 11-18 Uhr
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