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Sicherheit nirgends
Anna Enquist über ein Beziehungsdrama
Am Ende bleibt ein Scherbenhaufen: Und dies in einer holländischen Familie, die in wohlhabenden, gesicherten Verhältnissen existierte. Anna Enquist, selbst Psychoanalytikerin führt in dieses Milieu.
Drik ist nach dem frühen Krebstod seiner Frau dabei, Boden unter den Füßen zu gewinnen. Unterstützt durch seine Schwester Suzan und ihren Mann Peter nimmt er seine Arbeit als Psychiater wieder auf. Suzan ist Anästhesistin in einer Klinik. Peter ist ebenfalls Psychiater. Beide leben in einer harmonischen Beziehung. Die geliebte Tochter Roos, die zudem ein exzellentes Verhältnis zu ihrem Onkel unterhält, hat eben mit dem Studium begonnen.
Da tritt die Katastrophe auf leisen Sohlen ein: in Gestalt von Al-lard Schuurman, Ende zwanzig, der im Rahmen seines Psychologiestudiums eine Lehranalyse mitmachen soll. Drik nimmt sich des jungen, jetzt schon frustrierten Mannes an, der noch während der Zeit seiner Analyse das Fach wechselt und zur Anästhesie kommt, wo er die Bekanntschaft mit Driks Schwester macht. Er verliebt sich in die über zwanzig Jahre ältere Frau, schläft mit ihr, aber kommt mit der ganzen Arzt- und Krankenhaussituation nicht zurecht und nimmt sich schließlich das Leben. Die dramatische Stellschraube in diesem Familien-, Beziehungs- und Therapeuten-Drama wird noch dadurch angezogen, dass Allard, ohne dies zu wissen, im Orchester, wo er spielt, Suzans Tochter kennenlernt.
Man ahnt die Verwicklungen. Drik und Suzan wissen als einzige darum und schweigen. Suzan, diese überaus starke Frau, die immer glaubte, alles kontrollieren zu können, hatte sich auf ein Abenteuer eingelassen, das ihr die andere, bislang unbemerkte Seite ihres Wesens offenbart. Am Ende, wie gesagt, das Chaos: Drik zieht sich, schwer alkoholabhängig, aufs Land zurück, Suzan arbeitet zwar weiter, doch Peter hat sich von ihr getrennt, Roos möchte keinen Kontakt mehr zur Mutter haben, und die beiden Geschwister können nur noch auf Distanz miteinander verkehren.
Ärzte und Therapeuten sollen ja zuverlässig, unerschütterbar erscheinen. Doch Sicherheit existiert eben nirgends - nicht in der Klinik, schon gar nicht in menschlichen Beziehungen. Da gärt und brodelt es kräftig, winken Abgründe und Nachtseiten, die - das scheint die Tragik Driks zu sein - auch der Therapeut nicht zu bändigen versteht. Man hätte mehr miteinander reden müssen, viel mehr, dämmert es den Protagonisten zuweilen. Aber wann, wo und wie genau ist es aus dem Ruder gelaufen, hat sich der Alltag mit seinen Strategien der Vermeidung durchgesetzt?
Anna Enquist: Die Betäubung. Roman. Aus dem Niederländsichen von Hanni Ehlers. Luchterhand. 320 S., geb., 19,99 €.
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