Der Vietnamese aus Thailand

Amorn Surangkanjanajai, Darsteller des »Gung« in der »Lindenstraße«

  • Lesedauer: 4 Min.
Amorn Surangkanjanajai zählt zu den dienstältesten Schauspielern der Dauerfernsehserie »Lindenstraße«. In dieser spielt er seit fast 30 Jahren den Vietnamesen »Gung«, der beständig Weisheiten des chinesischen Philosophen Konfuzius zitiert. Allerdings verbindet Amorn Surangkanjanajai mit China und Vietnam ungefähr genau so viel wie einen Italienier mit Finnland. Der 60-Jährige stammt aus Thailand und kam vor fast 40 Jahren zum Studium nach Deutschland. Im Gespräch mit Jan Freitag erzählt Amorn Surangkanjanajai, der sich eher als Atheist denn als Buddhist bezeichnet, über seine Rolle in der TV-Serie und warum diese den klischeehaften Zuschauerwunsch erfüllt, dass Asiaten langweilig zu sein haben.

nd: Sie sind seit fast 30 Jahren in der »Lindenstraße«, aber noch immer verwirrt Ihre Serienbiografie als Konfuzius zitierender Vietnamese »Gung«. Schließlich stammen Sie aus Thailand
Surangkanjanajai: Oh ja. Ich stamme aus Bangkok und bin Mitte der Siebziger als Student nach Deutschland gekommen. In der Serie spiele ich allerdings keinen Thailander, sondern einen vietnamesischen Flüchtling.

Das passte in die Zeit.
Genau. Als die Serie geplant wurde, war viel von den Boat-People die Rede, die vom Komitee Kap Anamur nach Deutschland geholt wurden. Der Regisseur der Serie, Hans W. Geißendörfer, hat von Beginn an die politischen Verhältnisse thematisiert; so kam »Gung« zur »Lindenstraße«.

Obwohl die Figur zu den ältesten der Serie zählt, tritt sie nur am Rande auf. Wie ist so ein Fernsehleben im zweiten Glied?
Schauspielerei, wie das im ersten. Es mag Kollegen geben, denen das zu wenig wäre, die es nach vorn zieht. Aber meine Rolle war von Anfang an so angelegt, nicht in den Mittelpunkt zu drängen. Aber die Kunst der Reduktion besteht ja darin, trotzdem bemerkbar zu bleiben.

Passt die Zurückhaltung zum Klischee des Asiaten in Deutschland?
Absolut, deshalb setzt Geißendörfer das Widerspruchslose im Hintergrund bewusst ein und hält den Deutschen damit einen Spiegel ihres Umgangs mit uns vor: Nicht auffallen, dann seid ihr geduldet! Deshalb war meine Rolle von der Intensität her nie gleichberechtigt mit anderen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: ich fühle mich sehr wohl und bin privat ein anderer. Die Interpretation des Südasiaten erfüllt letztlich nur den Zuschauerwunsch, dass Asiaten langweilig zu sein haben

Dabei sind auch vietnamesische Boat-People mittlerweile wie die Türken in dritter Generation hier, mit Enkelkindern ...
… die womöglich deutscher sind als manche Deutsche. Ich gehöre noch zur ersten Zuwanderergeneration; da ist es nur realistisch, mich so im Hintergrund zu spielen, wie ich es tue.

Es sei denn, »Gung« lässt sich in den Bundestag wählen.
Zum Bundeskanzler! Als er 1998 auf »Listra 3« kandidierte, hingen auch die Wände außerhalb der Studios voll mit »Wählt Gung«-Plakaten. Es war zwar bloß ein Gag, der ausdrücken sollte, was passiert, wenn Menschen wie ich aus der Unsichtbarkeit ins Bewusstsein der Menschen drängen, aber auch ein Statement zur Politikverdrossenheit.

Wollte der alte Sozi Geißendörfer eine Integrationsdebatte eröffnen?
Schon möglich. Vor allem aber war's ein Gag. Niemand konnte ja absehen, dass mit Philipp Rösler ein gebürtiger Vietnamese Bundesminister wird. Auch wenn er in bürgerlichen Verhältnissen aufgezogen wurde, ist er für Menschen, die seine Herkunft teilen, eine Integrationsfigur, die beweist, bis wohin man es auch mit dieser Biografie bringen kann. Für mich gilt das eher nicht; ich bin deutscher Staatsbürger mit eigenen Kindern, die hier geboren sind.

Empfinden die sich als Thailänder oder als Deutsche?
Meine Kinder sehen sich als Deutsche, als Kölner mit rheinischem Akzent, alle drei. Ich bin Weltbürger, zuhause in Deutschland.

Also nicht mehr der Gaststudent, der so rasch wie möglich wieder heimkehren soll.
So haben mich früher viele behandelt, aber ich fühle mich längst zu wohl hier, um zurückzukehren. Manche versuchen, mir zwar weiter das Gefühl zu geben, ich sei hier fremd. Aber das ist deren Problem. Ich lebe hier und bin ganz schön deutsch.

Kennt man Sie in Thailand überhaupt?
Das tut man ja nicht mal in Deutschland. Für Thailänder hier hab ich womöglich eine gewisse Bedeutung, aber in Thailand kennt keiner die »Lindenstraße« und mich folglich höchstens als Kolumnist für dortige Magazine oder Aktivist. Ich engagiere mich sehr für die Politik meiner Heimat.

Die hier bloß als Urlaubsparadies gilt.
Leider, ja. Deshalb muss man aufklären, dass in meinem Land die Freiheit oft hinterm Sandstrand endet. Da habe ich viel Aufklärungsarbeit zu leisten, auch in Thailand. Das nimmt derzeit die meiste Freizeit von mir ein. Mir bleibt nicht mal mehr Zeit zum Malen wie früher. Nur Politik und Beruf.

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