Angst vor Plätzen, vor Protest

»Agoraphobia« - die Prologausstellung der 13. Istanbul Biennale öffnet die Arsenale kreativen Widerstands

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein gutes Gespür für in der Luft liegende politische Strömungen zeichnet die Kuratorinnen der im kommenden September eröffnenden Istanbul Biennale aus. Gleiches gilt für die Macher der derzeit in Berlin gezeigten Prologausstellung zur geplanten Schau in der türkischen Metropole. Als noch niemand von den Protesten auf dem Taksim-Platz und der energischen Verteidigung des öffentlichen Grüns im daneben gelegenen Gezi-Park wissen konnte, hatten Fulya Erdemci, Bige Örer und Kevser Güler die Ausstellung unter dem Titel »Agoraphobia« längst konzipiert. In ihrer Sichtweise war mit dem Wort eine besondere Angst vor öffentlichen Plätzen gemeint: Nicht die psychologisch bestimmte Angst des Einzelnen vor großen Plätzen und großen Mengen, sondern die Angst von Machthabern vor der freien Meinungsäußerung von Menschenmengen, die sich auf diesen Plätzen versammeln.

Die Ausstellung verdient es nun, mit einer doppelten Optik wahrgenommen zu werden - einmal mit dem Blick auf die Kunst als Kunst, zum Anderen aber mit der Überlegung, inwieweit diese Kunst Träger von Botschaften ist, für deren Aufnahme Empfänger erst unter bestimmten Umständen sensibilisiert sind.

Den direktesten Bezug zu den jüngsten Ereignissen im kommenden Biennale-Ort stellt sicher Latoya Ruby Frazier her. Sie dokumentiert in archaisch anmutenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen den Verfall der einstigen Industriestadt Braddock, Pennsylvania. Sie beschreibt den Prozess, der einsetzt, wenn sich eine Kommune erst uneingeschränkt der Wirtschaft an den Hals wirft, dann aber ausgeschlachtet zurückgelassen wird, wenn für die Leitbranche - hier die Metallindustrie - die Bedingungen nicht mehr profitabel genug erscheinen. Frazier skizziert gewissermaßen die Ausgangslage städtischer Proteste.

Nahe dran an den Rebellionen selbst ist der Hamburger Christoph Schäfer. Mit einem verzweigten Netzwerk von insgesamt 158 Zeichnungen beleuchtet er zunächst die Genese von Stadtentwicklungen, beginnend beim mesopotamischen Ur - keine 400 Kilometer vom heutigen Bagdad entfernt - über die Städte, die aus römischen Soldatenlagern entstanden, bis hin zu heutigen Agglomerationen. Er verweilt etwas bei der Stadt als Fabrik. Er sieht beim Blick auf die in den 70er und 80er Jahren in der Altbundesrepublik angewachsene Arbeitslosigkeit den Produktivzusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Stadt jedoch aufgekündigt - und legt typischem Kreuzberger Szenepersonal der damaligen Zeit die Beobachtung in den Mund, man trage die Arbeitskleidung der Väter, ohne deren Jobs zu haben. Etwas diffus läuft das Langzeitpanorama schließlich in der Darstellung von Protesten gegen Gentrifizierung und im Parallelbild der gesamten Stadt als Produktionsinfrastruktur von Kreativ- und Dienstleistungsgesellschaft aus.

Freiräume, die man sich auch unter Bedingungen der Repression erobern kann, zeigt der mexikanische Künstler José Antonio Vega Macotela. In seiner Serie »Time Divisa« zeigt er künstlerische Arbeiten von Gefangenen, angefertigt als eine Art Gegenleistung für Aktionen, die der Künstler außerhalb der Gefängnismauern für die Inhaftierten unternahm. Währung für diese Handlungen ist die Zeit, die beide Beteiligten jeweils für ihre Verrichtungen benötigen und die sie sich gegenseitig widmen.

Künstlerisch am stärksten wirken die Arbeiten von Sener Özmen und Mierle Laderman Ukeles. Özmen setzt sich in Selbstporträts mit Megafon der Gewalt der Botschaften aus, die er selbst generiert und macht sehr drastisch auf die Gefahr von sich selbst abschließenden (Protest-)Schwingkreisen aufmerksam.

Laderman hingegen stellt in ihrem bereits 1969 vorgestellten »Manifest der Wartungskunst« eine der für die Zukunft von Protestbewegungen ganz entscheidenden Frage: »Wer räumt am Montagmorgen nach der Revolution den Müll weg?« Zur damaligen Zeit durch die Geburt ihres Kindes von den Happenings der Kunstavantgarde zu Windeln und Waschmitteln gewechselt, entwickelt sie aus diesem Bruch der Alltagspraxen Überlegungen zu den regelmäßigen Zyklen von Pflege, Betreuung und Beständigkeit. Diese Gedanken setzt sie in Kontrast zu den schnellen eruptiven - und von ihr als »tödlich« bezeichneten - Momenten sowohl der Avantgardekunst als auch des dann medial meist ausführlich begleiteten Protestes. Die Künstlerin überführte diese Ideen in den 70er Jahren auch in Performances und Ausstellungen. Ihr in dieser Ausstellung wiederentdecktes Werk liefert Hinweise zur Lösung eines Problems, an dem die Revolutionen des 20. Jahrhunderts ohne Ausnahme gescheitert sind: Der Transformation des Wunsches nach Freiheit und Gerechtigkeit in stetiges, an diesen Idealen ausgerichteten Alltagshandeln.

Die Räume des ehemaligen Gewerbequartiers in der Weddinger Heidestraße durchstreifend, stellt sich der Gedanke ein: Was will man noch mehr von der Kunst? Verteilt auf sehr unterschiedliche Positionen, dekliniert diese Vor-Ausstellung in der Galerie Tanas - die ihrerseits von Geldern der mit Erdogan in traditioneller Fehde befindlichen Unternehmerfamilie Koc teilfinanziert ist - Entstehung und Fortführung öffentlichen Dissenses gegen autokratisches Regierungshandeln. Es ist zu wünschen, dass die Hauptausstellung im September in Istanbul dieser Linie folgt und Kunst und Leben dann in einen noch engeren Zusammenhang treten. Ein guter Bauplan zumindest ist jetzt schon ersichtlich.

Galerie Tanas, Heidestr. 50, bis 27.7., Di-Sa 11-18 Uhr

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