Schreckgespenst in Mission

Christian Meyer will Niedersachsens Landwirtschaft umkrempeln

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 6 Min.
Niedersachsen hat einen neuen Agrarminister. Christian Meyer, 37 Jahre, Halbglatze, sympathisches Lächeln in rundem Jungengesicht isst Biomüsli zum Frühstück und nur selten Fleisch. Noch suspekter für die eher konservativ geprägte Bauernschaft ist: Im Eldorado der Tiermäster will der Grüne eine Agrarwende.

Das Lokal »Meta« in Hesel ist ein ehemaliges Bauerngehöft, die Räume sind im altostfriesischen Stil gehalten. Der Festsaal ist für Feiern mit bis zu 220 Personen ausgelegt, an diesem Abend sind rund 250 Gäste gekommen, am Ende steht die Luft. Denn »das Schreckgespenst der niedersächsischen Bauern«, wie er vom Moderator begrüßt wird, ist zu Besuch. Diesmal hat ihn der Verband der deutschen Milchviehhalter eingeladen, Meyer ist viel unterwegs seit seinem Amtsantritt. Seine angekündigte »sanfte Agarwende« war eines der beherrschenden Wahlkampfthemen. Dabei wurden den Grünen zwar ausgesprochen hohe Kompetenzwerte zugestanden, aber die angekündigte Agrarwende sorgte im Wahlkampf für große Unruhe.

Meyer setzt auf Dialog, besonders mit den kleinen und mittelständischen Betrieben. Davon gibt es in Niedersachsen nur noch rund 40 000, das Höfesterben ist auch an diesem Abend im ostfriesischen Hesel das zentrale Thema. »Ich will die verbliebenen Höfe erhalten und die bäuerliche Landwirtschaft stärken«, sagt Meyer. Ihm gehe es vor allem um die Großen, um die Agrarfabriken: »Wir verfolgen das Ziel: große Betriebe - große Auflagen, kleine Betriebe - kleine Auflagen.« Das kommt gut an, denn viele Milchbauern hier arbeiten in Familienbetrieben mit durchschnittlich 62 Kühen, sie kämpfen seit langem für höhere Preise, noch immer geben viele Höfe auf. Das Publikum honoriert, dass Meyer von Dialog und besonders häufig von Wertschätzung spricht.

Der Diplom-Sozialwirt weiß, der angekündigte Strukturwandel macht Angst. Er setzt auf Umschichtungen von Fördermitteln und positive Anreize. Zwar will er auch den Neubau großer Mastställe erschweren, aber immer wieder fällt: die kleinen und mittleren Betriebe stärken und den Biolandbau ankurbeln.

Heiko Freese ist einer der Biobauern, die im Fokus der Agrarwende stehen. Der 33-Jährige hat den Familienbetrieb im ostfriesischen Rhauderfehn 2005 übernommen. Umgestellt hat er nicht, seine Eltern hatten sich bereits 1985 als einer der ersten Höfe für ökologischen Landbau entschieden. Begonnen haben sie mit Mutterkühen und Getreide, 1992 stiegen sie auf Gemüseanbau um. 50 Hektar werden hier bewirtschaftet, unterstützt werden der Jungbauer und seine Mutter Hilde von rund 25 Teil- und Vollzeitangestellten, davon fünf Saisonkräfte. Sie bauen rund 50 verschiedene Gemüsekulturen an, außerdem gibt es eine Mutterkuhherde und neuerdings vier Schweine, die fröhlich draußen im aufgewühlten Boden spielen.

Für den Jungbauern ist klar: Biolandbau, das geht nur, »wenn man auf jeden Fall dahinter steht«. Ohne Ambitionen und Spaß an der Arbeit geht es nicht, »denn man muss viel seiner Freizeit opfern«, sagt Freese. Auch das familiäre Umfeld prägt. »Viele Betriebe kommen gar nicht auf die Idee umzustellen, selbst wenn es wirtschaftlich interessant wäre.« Einen konventionellen Betrieb umzustellen sei auch nicht einfach, »da braucht man ein gutes Konzept«. Und viele wollen nicht, oftmals aus Unwissen oder alten Vorurteilen. »Die konventionelle Landwirtschaft wurde lange gefördert und rechnet sich auch heute noch ganz gut«, erzählt der Landwirt. Gut, wenn der Neue jetzt mehr Anreize für den Ökolandbau schaffen will.

Freese selbst hat momentan noch nicht so viel davon, dass mit der neuen Regierung die Prämien für Ökolandbau angehoben wurden, denn das gilt nur für Neuanträge. Sein Betrieb hat die Anträge für das fünfjährige Programm aber bereits im vergangenen Jahr gestellt. »Es wäre gut, wenn sich das noch ändert«, sagt er lächelnd. Doch für ihn kann es bei der Agrarwende nicht nur um die Verteilung von Geld gehen, auch in der Bildung liege vieles brach: »Ökolandbau muss in den Schulen gelehrt und in den Studiengängen verankert werden, da gibt es bisher zu wenig.« Der Zugang zu Wissen fehle, da wünscht sich der Landwirt und Wirtschaftswissenschaftler mehr Aktivität von Seiten der Politik.

Langsam die festgetretenen Pfade verlassen, etwas anderes bleibe aber auch dem neuen Landwirtschaftsminister nicht: »Das wird ein längerer Weg, eine Legislaturperiode reicht dafür sicher nicht«, sagt der Landwirt. »Viele Betriebe haben ja große Investitionen getätigt, da ist eine Umkehr ganz schön schwierig«, weiß Freese von Kollegen.

Klar ist, Meyer wird es schwer haben, besonders in den Landkreisen, die wirtschaftlich vom Aufbau der Fleischindustrie profitieren. Cloppenburg ist einer dieser Landkreise, in denen die Lkw mit Schlachtvieh ununterbrochen über die Landstraßen brettern. Die Schweinemäster sind auch die ersten, an die sich die Maßnahmen der neuen Landesregierung richten. Große Mastbetriebe mit mehr als 2000 Schweinen dürfen nur noch mit einem Filter gegen Gestank, Ammoniakemissionen und Stäube gebaut werden, ältere Anlagen müssen innerhalb von fünf Jahren nachgerüstet werden. »Hiervon sind etwa 300 Betriebe von insgesamt 11 000 betroffen«, sagt der agrarpolitische Sprecher der Grünen Hans-Joachim Janßen und nennt die Übergangsfristen »moderat«. Werner Hilse, Präsident des niedersächsischen Landvolkes und Schweinemäster, sieht das anders: »In der vorliegenden Form können wir den Erlass nicht mittragen. Er fällt deutlich hinter die mit der früheren Landesregierung ausgehandelte Kompromisslinie zurück.«

Auch höhere Zahlungen für die anfallende Gülle sind geplant, »wer zu viel produziert, soll zahlen«, sagt Meyer. Denn die Nährstoffüberproduktion durch Masttieranlagen ist ein ernsthaftes Umweltproblem für die emsländischen Felder. Deshalb wird die Gülle in Biogasanlagen gebracht, zusammen mit Mais. Gefördert durch das alte EEG werden in Niedersachsen mittlerweile mehr als 200 000 Hektar Ackerfläche genutzt, um Mais als sogenannten nachwachsenden Rohstoff für Biogasanlagen anzubauen. Jetzt im Frühsommer steht der Mais erst wenige Zentimeter hoch in den »Maiswüsten Deutschlands«, wie die Menschen in Cloppenburg sagen. Gegen die Biogasanlagen entsteht langsam Protest, die Schweinemäster stehen hier kaum in der Kritik.

Weiter östlich im Bundesland regt sich dagegen Widerstand gegen Mastanlagen und der setzt auf den frisch gewählten Agrarminister, der selbst kein konventionelles Geflügel mehr isst, seit er mal Stallanlagen von innen gesehen hat. Eine dieser neuen Geflügelmastanlagen entsteht im wendländischen Schnega. In einer Halle in der Nähe des Bahnhofs werden knapp 40 000 Küken in 35 Tagen zur Schlachtreife gemästet. Im Durchschnitt leben am Ende der Mast etwa 24 Tiere auf einem Quadratmeter, etwa so groß wie eine Duschwanne, hat die Bürgerinitiative gegen Hähnchenmast in Schnega ausgerechnet. Doch auch hier signalisieren viele Geduld mit dem neuen Landwirtschaftsminister. »Das geht alles nicht so schnell«, sagt eine Frau am Stand der Initiative gegen industrielle Tierhaltung während der kulturellen Landpartie im Wendland, »wir müssen dem Meyer schon etwas Zeit geben«. Es gehe nicht darum, etwas vorzuschreiben, »die Veränderung setzt in den Köpfen an«.

Deshalb setzt Meyer auch auf die Kombination Verbraucher und Landwirte. Um Verbrauchern die Wahl zu lassen, soll auch Fleisch - ähnlich wie Eier - zukünftig besser gekennzeichnet werden. Haltung und Herkunft sollen deutlich werden. Die Verbraucher werden es honorieren, da ist sich Meyer sicher. Aber er fordert auch: »Wir brauchen eine generelle Diskussion über die Preise für Lebensmittel. Hier ist alles billig, billig. Davon müssen wir wegkommen«, sagt er gegenüber dem Publikum in Hesel.

Da ist sie wieder, die Wertschätzung. Die soll es nicht nur für die landwirtschaftlichen Betriebe geben, sondern auch für ihre Produkte. Euphorie erntet er an diesem Abend nicht, aber wir sind ja auch in Ostfriesland.

Doch er sammelt mit jedem seiner Besuche Sympathiepunkte ein, das verschafft ihm die notwendige Zeit. Denn was über zwei Generationen wirtschaftlich gut und richtig gewesen sein soll, lässt sich nicht über Nacht zurückdrehen.

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