Was Geschichte geworden ist

In der Galerie im Turm spielen Fotografinnen mit Fundstücken

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Jüngere Geschichte verströmt die Galerie im Turm. Lokalisiert ist sie seit 1965 im Nordturm am Frankfurter Tor, einem Platz, dem Ende der 1950er Architekt Hermann Henselmann seine heutige Gestalt gab. Die Galerie im Parterre bietet seit jeher Berliner Künstlern ein Podium. Drei von ihnen gestalten die aktuelle Ausstellung mit dem länglich ungelenken Titel »When I was young this was supposed to be the highest mountain in the world«. Auch diese Schau befasst sich mit Historie.

So zitiert das Künstlerinnenduo Rebecca Riedel und Mieke Ulfig in der vielteiligen, wohl auch den Gesamttitel stellenden Installation aus Reiseberichten von Frauen zur Zeit des Kolonialismus und setzt ihnen inszenierte eigene Fotos entgegen, die jene Zitate auf arg ironische Weise unterlaufen. Da präsentiert sich eine Frau unterm Tropenhelm mit Flinte und Feldstecher in einer Baumgabel, bereit zum kaltblütigen Abschuss, weil die Zahl der erlegten Tier-Trophäen damals als Statussymbol galt. Daneben hängt auf einem Metall-Gestell ein zugeknöpfter lichtblauer Stoffschutz, den sich die empfindliche Lady gegen Sonne und Moskitos über den Kopf zog. Nochmals grinst die Dame in Hut, Hose, Stiefel im Savannengras, taucht dann mit einer Begleiterin auf, rudert mit ihr auf einer Serie aus elf Kontaktabzügen im Schlauchboot zwischen Schilf, den Kescher zum Insektenfang griffbereit.

Ihre Fotostrecke kombinieren die Künstlerinnen mit weiteren Gegenständen. So hängt gleich eingangs am Seil ein Wurzel- oder Holzstück, das vom Schwung her an den ramponiert überlieferten Torso der »Tanzenden Mänade« erinnert. Der Stein, auf dem in einem Kurzvideo Riedel eine Kokosnuss zertrümmert, ehe sie sich wie Giselle zur Ruhe bettet, wird zum Kunstobjekt: Auf weißer Platte ziert er gegenständlich den Raum.

Andere preisgegebene Objekte sind auf einer Konsole unter Glas drei Honigwürfel, mit denen man sich auf der Safari möglicherweise ernährte, sorgsam gefaltet ein bestickter Rucksack, in dem man seine Utensilien transportiert hat. Ausgedruckt auf rosafarbenem Papier hängt an der Wand ein Text aus der »New York Times« vom 28. Januar 1906; er berichtet auch mit Fotos von der berühmtesten Palme mit der angeblich größten Nuss der Welt. Jene, die auch Riedel im Video aufschlägt und genüsslich verzehrt?

Solidarisch gibt auch Iris Janke ihrem Teil der Ausstellung mit »The big boom nothing escapes AGFA project« einen englischen Titel. Eigentlich aber geht es um ein ganz deutsches Phänomen. Jankes Eltern lernten sich 1968 bei AGFA, einem Unternehmen für Fotografie und Laborausrüstung, in München kennen. Was Janke im Archiv ihrer Mutter auftat, Mengen an Kontaktbögen, ordnet sie auf zwei Tischen zum Einblick in den Lebens- und Arbeitsalltag jener Jahre. Auch eigens inszenierte Spaßfotos finden sich, von Geburtstagen im feschen Dirndl, während des Dienstes inmitten der Apparaturen sowie »Gruselfotos« mit verzogenem Gesicht und damischem Kostüm. Ergänzt werden diese persönlichen familiären Erinnerungen durch Porträtfotos von jungen Angestellten dieser Tage und diverse Collagen. So versieht Janke Illustrationsfotos für die Qualität der Aufnahmen mit Subtexten, die rein sachliche Informationen geben: dass dafür keine komplizierte Beleuchtung, kein spezieller Hintergrund gebraucht werden; dass für eine nächtliche Filmszene im Wald eine Halogenlampe genügt und das Vorderlicht eines PKW; dass ein durch Striche zerlegtes Gesicht seine Wirkung acht Teilbelichtungen verdankt.

In Holzkästen präsentiert Janke etwa präparierte alte Kataloge. Darin sieht man fünf dynamisch verschwimmende Sportfotos, deren Texte sie bis auf wenige Schlagwörter schwärzt, wie Schönheit, Kampf und Kraft, Sieg und Niederlage. Oder den Farbkatalog von einer Bootsfahrt und mit sich sonnenden Teenagern. Werbung im Stil der Zeit taucht auf, Originalverpackung wird zur Reliquie.

Witzigste Fotos: der Seriöse, dem Schneiderinnenhände noch eben rasch das elegante Hemd zurechtzupfen; der fröhlich kreischende Mann, dem ein Vogel auf dem Haupt sitzt und von dort kess auf der Stirn herumpickt. Doch aller Frohsinn hat stets ein Ende: Das Video vor dem Janke-Trakt zeigt die Sprengung des AGFA-Hochhauses 2008, weil dort ein neues Hochhaus entstehen soll. Damit aber sind die Lebensschnipsel der Eltern endgültig Geschichte geworden.

Bis 14.7., Di-So 12-19 Uhr, Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, Friedrichshain, Telefon 422 94 26, www.galerie-im-turm.net

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