Feierlaune trotz Eintritts in kriselnde Union
Kroatien-Experten sind geteilter Meinung über die Zukunft der Republik als EU-Mitgliedsstaat
Kein geringerer Ort als das Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz wurde jüngst aufgeboten, um die soziale und wirtschaftliche Situation des 28. EU-Mitgliedsstaats Kroatien zu analysieren. Als Gastgeber fungierte der Generaldirektor des Kanzleramtes Manfred Matzka, die Expertise steuerte das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) bei. Hauptredner war der Gouverneur der kroatischen Nationalbank, Boris Vujčić, flankiert vom früheren österreichischen Vizekanzler Erhard Busek sowie zwei bekannten Zagreber Intellektuellen: dem Philosophen Žarko Puhovski und der Ökonomin Višnja Samardžija.
Kroatien durchlebt 2013 sein fünftes Jahr in der Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt geht seit 2009 jährlich zwischen einem und sieben Prozent zurück, gab der höchste Banker des Landes zu. Sinkende Exporte und steigende Auslandsschulden bereiten Boris Vujčić Sorgen, am bedenklichsten findet er allerdings das weitgehende Fehlen ausländischer Investitionen in exportorientierten Sektoren. Vujčić macht dafür unter anderem »zu starke Arbeitnehmerrechte« verantwortlich, obwohl »der Unsinn, dass Kollektivverträge praktisch kein Ablaufdatum hatten, abgeschafft werden konnte«. Über die sozialen Folgen, etwa eine 51-prozentige Jugendarbeitslosigkeit, schwieg der 39-jährige Zentralbanker geflissentlich. Auf der Habenseite verbuchte er ein eben erst beschlossenes Gesetz zur Anlockung ausländischen Kapitals, das den Einfluss der lokalen Verwaltungen zurückdrängt und Investoren bis zu zehn Jahren die Körperschaftsteuer erlässt.
Kollegin Samardžija von der Universität Zagreb sprach den von Brüssel erzwungenen Austritt Kroatiens aus der Freihandelsgemeinschaft CEFTA an. 20 Prozent der Exporte gingen bis zuletzt in diese hauptsächlich aus Balkanstaaten bestehende Gemeinschaft. Weil die EU keine Präferenzverträge mit Drittstaaten duldet, erwarten Experten Verluste von etwa 100 Millionen Euro im ohnehin schwächelnden Außenhandel.
Radikal-liberal und oberlehrerhaft gebärdete sich anschließend Österreichs ehemaliger Vizekanzler Busek. Er hofft auf »mehr Krisen«, damit Kroatien aus der Starre erwache und konkurrenzfähig werde. Und er empfiehlt den Kollegen aus dem Süden, genau darauf zu achten, welches Personal man in die Brüsseler Institutionen schickt. EU-europäische Sozialisierung sei eine der heikelsten politischen Aufgaben; nur damit könne man eine neue, vorbehaltlos europäisch denkende Generation heranziehen.
Zum Abschluss der Veranstaltung steuerte der Philosoph Žarko Puhovski ein wenig soziale Wirklichkeit bei. Dass es keine Euphorie in der Bevölkerung gibt, findet er gut, weil so wenigstens niemand enttäuscht werden könne. Aber dass allerorten eine depressive Grundstimmung herrsche, stimme ihn nachdenklich. Der Beitritt zu einer krisengeschüttelten, maroden Europäischen Union könne daran auch nichts ändern. Eher mache es den Eindruck, so Puhovksi, dass Kroatien gerade noch rechtzeitig zum Begräbnis komme. nd-Karte: W. Wegener
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