Spannungsreiche Dialoge
Emil Noldes Figurenstillleben im Nolde Museum
Ein weniger bekanntes Kapitel in der Malerei Emil Noldes sind seine Figurenstillleben, denen er sich, selbst passionierter Sammler von kunstgewerblichen Gegenständen aus aller Welt, jahrzehntelang gewidmet hat. Das Nolde Museum widmet ihnen derzeit eine Ausstellung mit dem Titel »Die stille Welt der Dinge. Blumen, Masken und Figuren«.
Das Malen nach Objekten, seien es nun museale Zeugnisse der Volks- und Hochkulturen Nord- und Südamerikas, Ostasiatika, der Stammeskunst aus Afrika und Ozeanien oder Objekte aus der eigenen Figuren-, Puppen- und Maskensammlung, machte ihm immer wieder Freude. Ideenreich experimentierte er mit Farben und Formen, Ornamenten und Strukturen, subtil balancierte er die unterschiedlichen Spannungsverhältnisse der Skulpturen und Objekte aus. Aus der Vielfalt der Formen und Materialien sollte wieder ein multikultureller Zusammenklang, aus der Polarität wieder ein Dialog hervorgehen. Indem er mit koloristischer Raffinesse die Dinge magisch durch seine Malerei belebte, sie wie auf einer Bühne agieren ließ, sie zu ungewöhnlichen, mitunter surrealen und grotesken Verabredungen zusammenführte, erweiterte er den traditionellen Begriff des Stilllebens und näherte sich einer Malerei, die multikulturell zu nennen ist.
Noldes künstlerische Beschäftigung mit exotischen Figuren setzte 1910/11 ein, als er nach Skulpturen im Berliner Völkerkundemuseum zeichnete. Hier konnte er die Formensprache ferner Kulturen eingehend studieren, und zugleich beflügelte sie seine Imagination.
Diese Studien dienten ihm dann als Vorlage für seine noch vor der Südseereise 1913/14 geschaffenen Stillleben-Bilder mit exotischen Figuren, Fetischen und bizarren Masken. In dem Stillleben »Exotische Figuren II« (1911) wird eine Kachinafigur der Hopi-Indianer aus Arizona von einem Katzenpaar mit furchteinflößenden Fangzähnen misstrauisch beäugt, während die kantigen Formen der afrikanischen Figuren in »Mann, Frau und Katze« sowie »Mann, Fisch und Frau« von 1912 durch das jeweilige Tiermotiv miteinander verbunden sind. Nolde hat in »Mann, Frau und Katze« ein Motiv aus dem Thron des Königs Njoya aus Bamum im Nordwestkameruner Grasland verwendet, die Katze dagegen geht auf eine ebenfalls im Berliner Völkerkundemuseum befindliche Schnitztür aus Nigeria zurück. Den Maler interessierte nicht die originalgetreue Wiedergabe der außereuropäischen Objekte, sondern der Ausdrucksgehalt, den er durch seine Farbwahl, das Arrangement, die Kombination bzw. die Synthese der Skulpturen, aber auch durch Verfremdungs- und Verkehrungseffekte verstärken wollte.
Im Anschluss an einen Atelierbesuch bei dem belgischen Maler James Ensor in Ostende entstanden mehrere Maskenstillleben; das erste (1911) zeigt in einer diagonal in die Tiefe führenden Anordnung fünf an Schnüren aufgehängte Faschingsmasken, deren unterschiedlicher mimischer Ausdruck die Skala menschlicher Gefühle von hämischer Freude, grimmiger Heiterkeit, ungläubigem Erstaunen, mürrischer Skepsis bis hin zu blankem Entsetzen umfasst. Dabei erinnert die mittlere, in Rottönen gehaltene Physiognomie unverkennbar an Edvard Munchs epochales Werk »Der Schrei«. »Der Missionar« (1912) wiederum, eine Karikatur auf den Kolonialismus, gibt eine Tanzmaske der Bongo aus dem Sudan, eine nach einer kleinen Skulptur der Yoruba aus Nigeria modellierte Mutter mit ihrem Kind auf dem Rücken und einen im Original riesengroßen Wegegott aus Chemulpo in Korea wieder; in Letzteren hat Nolde einen missionierenden Europäer unter einer grässlich blutroten Maske versteckt, der die verängstigte Afrikanerin zum christlichen Glauben bekehrt.
Wollte er zunächst ein wahres Kaleidoskop von Formen und Typen zwischen Figur und Maske schaffen, setzte der Künstler ab 1915 Figuren aus aller Welt neben Blumen aus dem eigenen Garten. An die Stelle der multiethnischen Gruppendynamik trat das Wechselspiel von Kultur und Natur. Zunehmend verband er die »Urvölkerkunst« mit seiner nordischen Phantastik, er bezog »biblische und Legendenbilder« mit ein und ging schließlich vom Stillleben ganz zum freien Figurenbild über. Diese »Ausflüge ins Traumhafte, ins Visionäre, ins Phantastische« zeigen Noldes große Meisterschaft in Farbtemperatur und Lichtregie, in Korrespondenzen oder Asymmetrien.
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