Was wirklich wichtig ist

Über die Frage nach dem Wesentlichen im Fußball hat vor 16 Jahren Lars Ricken erfolglos nachgedacht. 2013 gab Mario Götze eine verblüffend simple Antwort.

Als Lars Ricken mit Borussia Dortmund die Champions League gewann, war er 20 Jahre alt. Als 21-Jähriger drehte er einen Werbespot, in dem er vieles geißelte („ich sehe Geschäftemacherei ohne Ende“ „ich sehe Typen in Nadelstreifen“, „ich sehe VIP-Logen, wo früher Stehplätze waren“) was schon damals nervte. Der Spot war gut, er hatte nur einen gehörigen Pferdefuß: Er warb für Nike. Und wer sich damals fragte, was Rickens Taggedanken denn um alles in der Welt mit einem ökonomischen Giganten zu tun haben könnten, stellte sich offenbar die selben Fragen wie Ricken selbst. Der schoss im Spot deshalb einfach einen Fallrückzieher (oder ob das eine unfreiwillige Metaphorik war?) und sagte: „Und dann sehe ich, was mir wirklich wichtig ist...“ Das war, als ob der Padrone der örtlichen Pizzeria seine Produkte beschreibt („ich sehe Analogschinken“, „ich sehe Pilze aus der Dose“, „ich sehe 1200 Kalorien...und dann sehe ich, was wirklich in den Ofen kommt.“

16 Jahre später hatte Dortmund wieder einen Jungspund, dem die Sympathien zuflogen, und auch er hatte das Bedürfnis zu zeigen, was ihm wirklich wichtig ist: Nicht der Verein den er gerade verlassen hatte, nicht der neue, zu dem er gewechselt war. Sondern ein Shirt des Ausrüsters Nike, mit dem er persönlich einen Marketing-Vertrag hat. Das präsentierte er gleich am ersten Arbeitstag beim neuen Arbeitgeber FC Bayern, zu dem die drei Streifen der Nike-Konkurrenz gehören wie der Doktortitel zu Herrn Oetker aus Bielefeld.
Eigentlich könnte man sich fragen, wie es um das Arbeitsethos eines Menschen bestellt ist, der gleich am ersten Arbeitstag so nachweist, dass ihm das eigene Wohl (sprich: Portemonnaie) mal über jedes Vereinsinteresse geht. Aber geschenkt, schließlich war es ja durchaus lustig, dass es keiner der Verantwortlichen gemerkt hat, dass da einer vor den Kameras stand, dessen T-Shirt eigentlich nur aus einem übergroßen Sponsorenlabel der Konkurrenz bestand. Ob es ihnen aufgefallen wäre, wenn Pep Guardiola bei seiner Inthronisierung im 1860-Trikot erschienen wäre?

Der Vergleich kommt Ihnen komisch vor? Ist ja nur ne Marke, und kein normaler Mensch weiß doch, welches Mist-Label auf dem Pulli steht, den man sich heute Morgen viel zu früh übergestülpt hat? Recht haben Sie. Aber die Fußballwelt hat mit der normalen Welt nichts zu tun.

Bei jedem Fotoshooting eines Viertligisten läuft irgendein Vereinsangestellter herum, der sich genau anschaut, ob der auch die linke Socke des rechten Verteidigers das richtige Sponsorenlogo trägt. Und selten hat sich der Schreiber dieser Zeilen unwohler gefühlt, als beim Besuch der heiligen Hallen eines Sportartiklers, als er nach dem x-ten pikierten Blick der jeweiligen Gesprächspartner aufs eigene Schuhwerk feststellen musste, dass er zwar nicht in Hundescheiße getreten war, sondern ein Produkt des Konkurrenten spazieren trug.

Ich war vorhin übrigens bei einem Testspiel des SC Freiburg in einem kleinen Winzerort namens Bahlingen, dessen Fußballclub immerhin in der Oberliga spielt. Vier Mannschaften spielten zwei Tage lang um einen von einer Brauerei gestifteten Pokal. 7000 Zuschauer kamen. Um das zu bewältigen, haben viele Menschen Tickets, Würste und Getränke verkauft, andere haben die Bälle ins Spiel zurückgeworfen oder haben die Biertische aufgebaut. Die Personalkosten lagen trotzdem bei null Euro. Alle 200 Helfer haben nämlich ehrenamtlich gearbeitet.

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