Kampf um Zweitklassigkeit

Folge 1 der nd-Serie »Ostkurve«: SG Dynamo Dresden

  • Stephan Fischer, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit dem Saisonbeginn der 2. Bundesliga startet auch die neue nd-Serie »Ostkurve«. Den Anfang macht der achtmalige DDR-Meister Dynamo Dresden, der mit einem 1:1 gegen den Aufstiegskandidaten 1. FC Köln einen wertvollen Punkt im Kampf ums sportliche und wirtschaftliche Überleben feiern konnte. In der »Ostkurve« berichten wir jeden Montag über den Fußball in den neuen Bundesländern: traditionsreiche Vereine in der Gegenwart, alte und neue Erfolge, denkwürdige und streitbare Momente.

Samstag, 15:30 Uhr. Schiedsrichter Wolfgang Stark pfeift das Spiel gegen den 1. FC Köln an. Das Dresdner Stadion ist fast ausverkauft: 29 300 Zuschauer – Erstligaatmosphäre. Und doch beginnt für Dynamo Dresden wieder eine Spielzeit, in der es ums sportliche und wirtschaftliche Überleben in der 2. Bundesliga geht.

Vor 18 Jahren spielte Dynamo zuletzt ganz oben mit. 1995 entzog der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dem damals letzten erstklassigen Ostverein die Lizenz. 4 Millionen Mark Schulden reichten damals, um den Klub in die Drittklassigkeit der Regionalliga Nordost zu verbannen. Eine lächerliche Summe, verglichen mit aktuellen Schuldenständen anderer Vereine.
Statt in München oder Dortmund spielte ein einstiges Aushängeschild des DDR-Fußballs nun auf besseren Sportplätzen. Eine Demütigung: Der achtfache DDR-Meister verlor Pflichtspiele bei den Reinickendorfer Füchsen. Zweimal hintereinander. Gastgeber und Polizei waren oft überfordert mit der großen Zahl mitreisender Anhänger: »Stellen sie ihre Mülltonnen rein! Die Fans von Dynamo Dresden kommen!«, hieß die Aufforderung eines lokalen Radiosenders vor einem Dresdner Gastspiel in Nordhausen.

Zur Jahrtausendwende ist Dynamo am Boden, erstmals seit 1957 findet sich der Klub in der Viertklassigkeit wieder. Zugleich wandelt sich der Fußball in Deutschland: In der Euphorie der WM-Bewerbung werden überall im Land neue Stadien gebaut oder bestehende in Arenen umgewandelt. Die »Giraffen« genannten Flutlichtmasten des mittlerweile ziemlich maroden Rudolf-Harbig-Stadions, die früher den Rasen für Europapokalspiele vor bis zu 36 000 Zuschauern erhellten, setzen nun Szenen einer sich radikalisierenden Fanszene ins Licht: laut, bunt und kreativ – aber auch in Teilen gewaltsuchend.

Dieser »wilde Osten« ist dem DFB bis heute nicht geheuer. Ausschreitungen und exzessiver Gebrauch von Pyrotechnik bei DFB-Pokalspielen in Dortmund und Hannover führen im Juni 2013 zum Pokalausschluss Dynamos für die jetzt beginnende Spielzeit. Die Höchststrafe des DFB, letztin-stanzlich gegen Dynamo als ersten Verein überhaupt ausgesprochen. Für den finanziell klammen Verein ein harter Schlag: Dynamo hat Probleme, die Miete für das 2009 neu fertiggestellte Stadion zu zahlen, der Spieleretat bewegt sich im unteren Drittel der zweiten Liga. Und über allem schwebt die Rückzahlung eines Darlehens von 5,5 Millionen Euro an den Filmrechtehändler Michael Kölmel.

Halbzeit gegen Köln. Dynamos Spieler um Kapitän Mickaël Poté ziehen sich gegen den Aufstiegsfavoriten achtbar aus der Affäre, trotz zehn Tage weniger Vorbereitungszeit wegen der Relegationsspiele gegen Osnabrück. Der K-Block, wo die fanatischsten Anhänger stehen, singt vom Europapokal. Hybris einer Fanszene, die den Bedeutungsverlust auf internationaler Bühne nicht verkraftet hat? Mitnichten.

Statt im DFB-Pokal tritt Dynamo in dieser Saison im FDGB-Pokal an. Es geht für Dresden dabei aber nicht um den achten Titel des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, das Kürzel meint »Für Dynamo Gemeinsam Blechen«. Die Einnahmen aus den Freundschaftsspielen will die SGD nutzen, um den Ausschluss vom »richtigen« Pokal zivilrechtlich prüfen zu lassen. Zum Auftakt kommt der englische Erstligist Hull City am 3. August in die sächsische Landeshauptstadt. Europäisches Flair und FDGB-Pokal, um gegen eine DFB-Entscheidung vorzugehen, um mit Anklang an die sportlich ruhmreiche Vergangenheit den Platz im Profifußball der Gegenwart zu sichern.

Schiedsrichter Stark pfeift das erste Spiel der Saison in Dresden unter dem Jubel der Zuschauer ab. Durch »eines der schönsten Tore, die ich bisher geschossen habe«, wie Tobias Kempe sagt, kommt Dynamo zum verdienten 1:1 gegen den Aufstiegskandidaten aus der Domstadt. Kölns Torwart Timo Horn hatte beim Jonglieren im eigenen Strafraum den Ball an Dresdens Nummer 18 verloren, die ihn gefühlvoll aus 16 Metern ins leere Tor hob. Benjamin Kirsten, SGD-Torwart und Sohn von Klublegende Ulf Kirsten, ist »überrascht, dass wir trotz der kurzen Vorbereitung so gut mithalten konnten.«
Zufriedenen ziehen die Zuschauer ab – in den Großen Garten oder zur Softeisbude am Arnold-Bad direkt neben dem Stadion. Nicht ohne vor dem Ausgang einen kurzen Blick nach rechts zu werfen: Dort steht das Denkmal für den 1997 verstorbenen Trainer Walter Fritzsch, unter dessen Leitung Dynamo bis 1978 fünf Meistertitel und zwei Pokalsiege errang. »Bescheiden, Fleissig, Ehrgeizig«, lautet die Inschrift. Erinnerung an Zeiten, in denen der große Fußball in Dresden zu Hause war und nicht der Überlebenskampf in Liga zwei.

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