»Kairo ist bereits eine geteilte Stadt«

Ägyptische Filmemacherin Amal Ramsis

  • Lesedauer: 6 Min.
Die Entwicklung seit der Entmachtung von Präsident Mohammed Mursi und der Muslimbruderschaft gehört zu den sensibelsten Augenblicken in der Geschichte Ägyptens. Es könnte zu einer unüberbrückbaren Spaltung des Landes kommen. Während Diplomaten in Kairo fieberhaft darüber streiten, wie man die Islamisten wieder an der Macht mitbeteiligen kann, bleiben diese auf Konfrontationskurs zur Übergangsregierung. Die in Kairo lebende Dokumentarfilmerin Amal Ramsis hat die ägyptische Revolution von Beginn an hautnah erlebt. Wie Millionen von ägyptischen Frauen auch unterstützt sie die sozialen Proteste für Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gegen Militärs, gegen die alten Mubarak-treuen Eliten und gegen das Regime Mursis. Bei den ersten demokratischen Wahlen vor zwei Jahren hatte sie sich einem Wahlboykott angeschlossen. Sie spricht heute von einer permanenten Revolution. Das Gespräch mit Amal Ramsis in Kairo führte Michael Briefs.

● Frau Ramsis, Sie stellen gerade ihren zweiten Dokumentarfilm über die Revolution in Ägypten fertig. Worum geht es dabei und wie können Sie in der derzeit angespannten Lage in Kairo arbeiten?

In meinem neuen Film geht es um die Lebensgeschichte einer Ägypterin, deren Bruder vor zwei Jahren von Militärs ermordet wurde. Was meine Lebens- und Arbeitsbedingungen betrifft, so sind die gar nicht so schlecht, weil ich in einer vom Einfluss der Islamisten befreiten Zone lebe. Und daher habe ich keine Probleme, wenn ich das Haus verlasse. Rebellen der Tamarod-Bewegung - also der Mursi-Gegner - sorgen dafür, dass hier, im Kairoer Zentrum rund um den Tahrir-Freiheitsplatz, keine radikalen Muslimbrüder durchkommen. Aber in Stadtteilen mit hoher Bevölkerungsdichte ist das Leben für die Menschen schlimm. So miserabel war es selbst unter Mubarak nicht. Ähnlich ist die Situation in vielen anderen Städten.

Ägyptens Kopten

Die Kopten sind die größte christliche Gemeinschaft in Ägypten. Sie machen rund acht Prozent der über 80 Millionen Einwohner aus und nehmen Einfluss in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat. Brandanschläge auf koptische Dörfer und Kirchen gibt es, seit Ex-Präsident Hosni Mubarak vor über drei Jahrzehnten in der Verfassung verankern ließ, dass Ägypten ein islamischer Staat sei.

1981 kam es in Kairo zu schwersten Zusammenstößen zwischen Muslimen und Christen. Strafmaßnahmen gegen beide Seiten waren die Folge. Unter der Regierung Mursi hatte sich die Lage wieder verschlimmert. Das belegen jüngste Zahlen zu Ausreiseanträgen. Die Gründe für religiös motivierte Menschenrechtsverletzungen variieren. Häufig sind es nicht genehmigte Kirchenneubauten. In Deutschland leben etwa 6000 Kopten. M.B.
 

● Die Übergangsregierung hat die Mursi-Anhänger ultimativ aufgefordert, ihre Sitzblockaden aufzulösen. Die sind ihrerseits aber wild entschlossen, Mursi zurück ins Amt zu protestieren und wollen dazu Millionen mobilisieren. Was ist Ihr Eindruck von diesen Protesten?

Davon ist hier nicht viel zu sehen. Gut, in der Nähe der Rabbah al Da’wiyya-Moschee gab es kürzlich eine größere Kundgebung der Muslimbruderschaft. Aber es sind letztlich die immer gleichen Gruppen, die protestierend umherziehen. Zu ihrem Schutz haben sie bewaffnete Milizen gebildet. Sie formieren sich zu geschlossenen Blöcken und lassen niemand von außen herein. Nur Anhänger der Muslimbruderschaft.

● Ist das nicht ein Beleg für die unüberbrückbare Spaltung des Landes?

Kairo ist bereits eine geteilte Stadt. Die östlichen Stadtteile sind vom Rest der Stadt abgetrennt. Meine Mutter lebt beispielsweise in einem Viertel, in dem sich radikalisierte Anhänger der Muslimbruderschaft verbarrikadiert haben. Sie lassen niemand hinein oder heraus und terrorisieren die Bewohner. Diese wagen sich kaum noch aus dem Haus. Anwohner berichten, dass in der Nähe ihrer Protest-Camps die Leichen von Leuten aus dem Viertel entdeckt wurden. Ihre Körper wiesen Folterspuren auf. Seit über drei Wochen kann ich meine Mutter nicht mehr besuchen, da ich nicht an der Sitzblockade der Islamisten vorbeikomme. Es ist zu gefährlich.

● 2011 haben Sie sich in einem nd-Interview skeptisch über die militärische Übergangsregierung nach dem Sturz Mubaraks geäußert. Heuten vier Wochen nach dem Sturz der Regierung Mursi, steht das Land schon wieder an einem kritischen Wendepunkt.

Richtig. Damals sagte ich Ihnen, dass wir Husni Mubarak fortgejagt und dafür einen Feldmarschall bekommen haben. Dieses Mal sind über 30 Millionen Menschen gegen das Regime Mursis und die Muslimbruderschaft auf die Straße gegangen, weit mehr also als in den Tagen des Zorns im Januar 2011. Wie Sie sehen, den Freiheitsplatz nimmt uns so leicht niemand mehr.

● Was denken Sie über die Methode, mit der Mursi und die Muslimbrüder entmachtet wurden? Gab es keine demokratische Alternative?

Viele sagen, dass wir hier einen Militärputsch erleben. Ich glaube das nicht. Vielmehr handelt es sich um den Willen der gesamten Bevölkerung gegen eine Minderheit, die das Land ein Jahr lang im Würgegriff gehalten hat. In dem einen Jahr unter Mursi ist der reformunwillige Flügel der Muslimbrüder zu einer sektenartigen Splitterpartei verkommen. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die irgendeiner Armee viel Vertrauen schenken würde, aber in bald drei Jahren habe ich gelernt, den Menschen auf der Straße zu vertrauen.

● Es ist dieselbe ägyptische Armee, die über 30 Jahre lang ein Unterdrückungsregime aufrechterhalten, Geschäfte mit Monopolisten gemacht hat und aus ihrer Aversion gegenüber linken Ideen keinen Hehl macht.

Ich gebe Ihnen Recht, strukturell ist es dieselbe Armee geblieben. Aber spätestens seit Mubarak wissen wir, dass die Armee kein einheitlicher Block ist, sondern unterschiedliche ideologische Gruppen beherbergt. Ein Spiegelbild der ägyptischen Gesellschaft halt. Ich denke, die Generäle haben einfach ihre Lektionen gelernt. Sie wissen, dass sie nicht wie eine südamerikanische Junta durchregieren können und dass ohne zivilgesellschaftlichen Schulterschluss mit der Bevölkerung derzeit keine Regierung eine Chance hätte. Wenn eine ganze Bevölkerung aufsteht, ist eine Armee eben zu Kompromissen bereit.

● Den Islam erneuern, so lautete das politische Versprechen Mursis und seiner Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Ein Jahr hatte ihr demokratisch gewählter Präsident zum Umbau der Gesellschaft Zeit. Was ist daraus geworden?

Nichts ist passiert. Die Muslimbrüder haben sich statt für soziale Gerechtigkeit nur für den Machterhalt und die ideologische Mission von Straße und Gesellschaft interessiert. Sie haben Kinos, Theater und Zeitungsredaktionen geschlossen, den Bestand der öffentlichen Bibliotheken bis auf wenige islamische Bücher der wahhabitisch saudischen Richtung dezimiert. Es gab Schreibverbote für Schriftsteller. Muslimbrüder, die keine Ahnung von Kulturarbeit haben, saßen plötzlich im Ministerium für Kultur Und was den demokratischen Weg Mursis an die Macht angeht: Wahlen sind nicht das einzige Allheilmittel in einer Demokratie.

● Wie ist das gemeint?

Mursi ist nur mit Hilfe gekaufter Stimmen ins Amt gekommen. Als Gegenleistung für Sonderrationen von Reis und Benzin an die verarmte Landbevölkerung. Dort und in städtischen Ballungszentren ist die Analphabetenrate bekanntlich sehr hoch. Hier liegen die Hochburgen der Islamisten.

● Wie wollen Sie das ändern? Dass die Menschen alles tun, um der Armut zu entfliehen, können Sie ihnen ja schwerlich zum Vorwurf machen.

Wir wissen lange schon, dass die Menschen auf dem Land bei Wahlen manipuliert werden. Daher kämpfen wir dafür, dass dort etwas gegen die Armut unternommen wird. Was in westlichen Medien oft verschwiegen wird: Nach zahlreichen mehrtägigen Streiks in Industrie, Handwerk und Transport wurde im Süden des Landes Tausenden Oppositionellen in Schnellgerichten der Prozess gemacht. Viele Frauen waren darunter. Streikende Gewerkschaftler wurden sogar auf offener Straße von Scharfschützen getötet. Aber endlich gehen jetzt auch auf dem Land die Menschen wieder in Massen auf die Straße, um gegen die Bildungs- und Arbeitsmarktmisere zu demonstrieren. Menschen, die Kontrolle über ihr Leben haben, weil sie über ein eigenes Einkommen verfügen, können nicht so leicht bei Wahlen manipuliert werden.

● Sie gehören der Minderheit der Kopten in Ägypten an. Müssen die rund acht Prozent Prozent Christen im Land um ihr Leben fürchten?

Unter Mohammed Mursi wurde es für die Christen sehr gefährlich. Seit dem 30. Juni wurden zwei koptische Priester ermordet. Im Süden des Landes töteten islamistische Gruppen viele Christen. In einem Jahr wurden Kirchen niedergebrannt und Dörfer attackiert und deren christliche Bewohner vertrieben. Die radikalen Islamisten hetzen die Menschen beider Glaubensrichtungen gegeneinander auf, damit aus Alltagskonflikten regelrechte Tumulte werden. Die Christen fühlen sich nicht mehr nur wie Bürger zweiter Klasse, wie oft geschrieben wird. Heute geht es um eine ganz neue Qualität von Gewalt. Deswegen haben so viele Christen das Land verlassen.

● In der Vergangenheit haben es die politischen Führungen im Land vermieden, kriminelle Übergriffe auf religiöse Minderheiten konsequent und rückhaltlos aufzuklären. Die Regierung Mursi machte da keine Ausnahme. Wie sieht das unter der jetzt von Armeechef Sisi gebildeten Übergangsregierung aus?

Als am 3. Juli die Armeeführung vor die Presse trat, um über die Bildung einer Übergangsregierung zu sprechen, trat neben dem Scheich der Al-Azhar-Universität auch der koptische Patriarch Tawadros II. vor die Mikrofone und forderte politische Mitsprache. Zum ersten Mal sind in einer ägyptischen Regierung Christen und Muslime repräsentiert. Auf den Straßen sehen wir momentan auch, dass wieder Tausende christliche Familien gemeinsam Seite an Seite mit muslimischen Familien friedlich für eine bessere Zukunft Ägyptens demonstrieren. Ohne jegliche Diskriminierung.

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