Das Klavier in der Schwimmerzone
»Fidelio« taucht im Stadtbad Steglitz als Kammeroper auf
Die Pauke und die Bläser halten sich noch unterm Nichtschwimmerschild des ehemaligen Stadtbades Steglitz. Von da an geht›s bergab. Klavier im Schwimmer, danach die Streicher. Helmut Weese, musikalischer Leiter der Inszenierung »Fidelio«, spielt in der Schräge, als wäre nichts. Freundlich zunickend, nicht gebieterisch dirigiert er, den jungen Musikern des Clubtheater-Kammerorchesters und den Sängern freundlich zunickend. Krallend sind die Bewegungen seiner Hände bei heftigen musikalischen Szenen.
Die gelungene Kammerversion von Ludwig van Beethovens einziger Oper nimmt dem Werk, das als Rettungs- und Befreiungsoper gilt, nicht den Ernst, aber jegliche Schwere. Der Spiel-Raum - das alte Stadtbad - ist dabei wesentlicher Beschleuniger. Stefan Neugebauer, künstlerischer Leiter des Clubtheaters, nutzt hier seit Jahren die unterschiedlichsten Räume für ungewöhnliche künstlerische Vorstöße. Er verwandelt sie. Kein gutes Thema momentan, da Berlin in einer Zeit, in der immer mehr Menschen immer weniger schwimmen lernen, angesichts weiterer Bäderschließungen zu einem Trocken-Eiland zu mutieren scheint. Doch das 2002 geschlossene, 2004 verkaufte und unter Denkmalschutz stehende Steglitzer Jugendstilbad soll nach seiner Sanierung durchaus wieder Wasser sehen. Die zweite gute Nachricht ist, dass die Kultur dabei nicht hinausgespült werden soll. So ist es von Besitzerin Gabriele Berger geplant.
In Neugebauers mutig angegangenem »Fidelio« wird das 21 mal 9 Meter große, im Umbau befindliche Schwimmbecken zum Staatsgefängnis nahe Sevilla im 18. Jahrhundert, der Beckenrand zum Arbeits- und Wohnterrain des Kerkermeisters Rocco und seiner Tochter Marzelline. Wie der Regisseur die Handelnden anordnet, sind die akustischen Bedingungen für Musik und Gesang bestens bis hoch auf die Galerie. Das gesprochene Wort kommt nicht immer so gut weg.
Florestan (Alan Razzak, Tenor) wird als politisch Unbequemer aus dem Bett weg verhaftet und eingekerkert. Gewaltig ist der Aufschrei des Sängers später aus dem Verlies. Die verbliebene Jacke ihres Mannes an sich gepresst, kommt sein Weib Leonore (Ilona Nymoen, Sopran) alsbald auf den Gedanken, sich als Mann verkleidet im Gefängnis als Wärter Fidelio zu verdingen, um ihren Liebsten zu befreien.
Eindrucksvoll klagend wie stark verkörpert Nymoen die Rolle. Angeekelt weicht sie den Berührungen des Gouverneurs Don Pizarro beim »Hausbesuch« aus. Martin Schubach (Bariton) gibt ihn fies als Handlanger der Macht. Arroganter geht‹s nicht. Solche Leute braucht man immer, zeigt sich später, wenn der Minister ihn nach dem von Fidelio vereitelten Mord an Florestan zeitweise aus der Schusslinie nimmt. Wie ein dressiertes Raubtier lässt sich Pizarro in die Ecke schicken.
Kerkermeister Rocco ist von anderem Schlag. Ein Beamter eben, der Befehle befolgt. Devot beugt sich Hansjörg Schnass. Nicht donnernd ist sein Bass, eher ruhig, was den Charakter der Rolle unterstreicht. Allerdings wirkt er mitunter etwas zu vergnügt. Rührend sind die Szenen, in denen seine Tochter (Kathleen Morrison, Sopran) mit Fidelio kokettiert, in »den« sie sich verguckte. Leonore alias Fidelio muss mitspielen. Die Duette der beiden sind sauber und schön gesungen. Am Ende tröstet sich Marzelline mit Pförtner Jaquino (Laurent Martin, Tenor), der sich unablässig um sie bemüht.
Keine Oper ohne Chor. Der des Clubtheaters singt kraftvoll auf der Galerie. Wie im ursprünglichen Werk gehen aus den Reihen der Gefangenen zwei Soli hervor, übernommen von Andrej Blazarenas und Kahyoung Cho. Die Damen treten zunächst stumm auf, anklagend Fotos vor sich haltend. Es sind die Porträts ihrer aus politischen Gründen eingesperrten Männer. Das Anliegen ist klar. So überzeugend wie alles andere wirkt dieses Aufreihen am Schwimmbeckenrand jedoch nicht. Die einzige Szene, die nicht richtig platziert scheint. Aber das tat dem Jubel bei der Premiere keinen Abbruch.
Bis 1.9. (Mi., Fr., Sa.), 20 Uhr, Stadtbad Steglitz, Bergstr. 90, Steglitz, Tel.: 54 77 31 18, www.clubtheater-berlin.de
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