Traumgehäuse aus Musik

Warum Scarlet O’ und Jürgen Ehle die Landlust gepackt hat

  • Thomas Bruhn
  • Lesedauer: 8 Min.

Wir leben mit Sehnsüchten: der Sachse träumt von der See, der Glatzkopf von der Locke und der Rocker vom Dreivierteltakt. Im Lärm der Großstadt verlangt es uns nach Ruhe, und ist es still, lechzen die Ohren nach dem Knattern eines Mopeds. Eingeengt von Mauern sehnt sich der Städter ins Weite, und auf dem platten Land fehlen ihm Schaufenster, schwitzende Kellner und Ampeln, die auf Rot stehen. Der Berliner lebt seit eh und je zwischen beiden Polen. In der Woche wuselt er zwischen Beton und Asphalt. Am Freitag nach eins hält ihn nichts, und er flüchtet nach jwd. Am Sonntagabend drängelt er auf Autobahnen nach Hause und balgt sich um den letzten freien Parkplatz im Kiez. Manch einer aber macht eines Tages wahr, wovon andere nur träumen: Er zieht aufs Land.

Scarlett O’ und Jürgen Ehle, im Leben und auf der Bühne verbandelt, lebten die ersten Hälften ihrer Leben in Städten. Sie ging wegen der Berufsausbildung von Buckow nach Frankfurt an der Oder, wegen des Studiums nach Cottbus, wegen der Arbeit nach Berlin; er zog mit den Eltern von Peking über Kairo in die Hauptstadt, es folgten Oberschule, Musikstudium und Arbeit in verschiedenen Bands. Vor ein paar Jahren kreuzten sich ihre Wege und von da an machten sie gemeinsame Sache.

Für Scarlett stand fest, dass sie zurück aufs Dorf wollte, Ehle ahnte lange nichts von seinem Glück. Die Wohnung im beschaulichen Pankow bot genug Platz zum Leben und Arbeiten. Eines schönen Tages aber schwärmten beide von ihrem Traumgehäuse in der Pampa, ich wollte es nicht glauben und sie sagten: »Komm rum, schau›s dir an.«

Zum verabredeten Termin war ich in Liebenhof und stand vorm Haus, das unfertig aber schon stolz und auch ein wenig trotzig in die Landschaft blickte, als wolle es sagen: Geht doch!

Scarlett, in Maurerkluft, winkte mich unters Vorzelt des Wohnwagens - gute Stube und Küche in einem: »Tee oder Kaffee?« »Tee.« »Dafür ist Jürgen zuständig, der ist in China geboren.« Also goss Ehle Tee für mich auf, und Scarlett brühte Kaffee für Jürgen und für sich.

Am Tisch sitzend, die Baustelle im Blick, schlürften wir heiße Getränke, und Scarlett, Fachfrau, weil diplomierte Bauingenieurin, erzählte: »Der Südteil ist neu. Sieht man an den weißen Steinen, die einzigen übrigens, die wir gekauft haben. Dort befand sich früher der Stall. Weil beim Bau gespart werden musste, bekam der kein Fundament, so dass mit der Zeit der Giebel im Modder versank und kippte. Also haben wir diesen Teil abgerissen und neu gebaut.«

Sie muss meinen verständnislosen Blick bemerkt haben: »Das ist ein Einfirsthaus, findet man in ganz Deutschland, für Umsiedler, Mensch und Tier unter einem Dach. Vor zehn Jahren bot sich die Gelegenheit, und wir konnten es günstig kaufen. Ich kenne es seit meiner Kindheit, bin um die Ecke groß geworden. Die Mutter des Vorbesitzers ist hier im stolzen Alter von sechsundneunzig Jahren friedlich eingeschlafen. Wenn das kein gutes Omen ist - ein Haus zum alt werden. Außerdem ist die Lage perfekt: Ein Dorf mit zwölf bewohnten Häusern, jeder Nachbar weit genug entfernt vom anderen, um befreundet bleiben zu können, wundervolle Landschaft und Berlin nur eine knappe Stunde entfernt.«

Ein Lieferwagen hielt vorm Haus. Handwerker. Scarlett begrüßte den Meister: »Tach Großer.« Er: »Tach Chefin.« Sie: »Wir gehen mal. Bin gleich wieder da.«

Unterdessen wollte ich von Jürgen, dem geborenen Großstädter, wissen, wie er sich sein künftiges Leben und Arbeiten auf dem Dorf vorstellt. Noch dazu, wo er für den Titelsong des Albums »Neuer Tag in Pankow« die Zeilen geschrieben hat: »Ich weiß, das hört sich gerade nich‹ so an,/ doch ich bin eigentlich ganz gern hier.«

»Das ist mein Abschiedslied an Berlin. Ich hatte viel Zeit, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, aufs Dorf zu ziehen. Früher hätten mich keine zehn Pferde aus Berlin wegbekommen, aber wir verändern uns, und die Dinge ändern sich. Es gab eine pragmatische Überlegung: Die Wohnung wurde zu klein. Wir arbeiteten buchstäblich Tür an Tür und hockten uns vierundzwanzig Stunden am Tag auf der Pelle. Das ging bisher gut, ist aber kein Zustand für alle Ewigkeit.«

Das Duo bewohnte eine Drei-Zimmer-Wohnung. Aus dem Arbeits- und Musikzimmer des Pankow-Gitarristen, Komponisten und Texters entwickelte sich ein Tonstudio. Alben von Barbara Thalheim, von Pankow und natürlich vom Duo Scarlett O’ und Jürgen Ehle wurden hier aufgenommen, gemischt und gemastert. Scarletts Büro verlagerte sich ins Wohnzimmer. Dort arbeitete sie an Programmen, Texten und erledigte das Management. Sie stiegen morgens aus dem Bett in die Arbeitsstiefel und abends aus den Stiefeln ins Bett. Raum zum Abschalten und Entspannen fand sich nur noch in der Küche.

Scarlett hatte die letzten Worte Jürgens gehört, setzte sich und fuhr fort: »Eines Tages bot sich die Gelegenheit. Grundstück und Haus waren bezahlbar. Wir wollten kein schickes Haus von der Stange, hätten wir uns nicht leisten können und wollen, sondern eins, das wir uns passend machen konnten. Viel Platz, Gästezimmer und einen kleinen Veranstaltungsraum.«

Ehle schmunzelte fein: »Jeder wird einen eigenen Bereich zum Arbeiten haben. Das Büro ist am einen Ende und das Studio am anderen Ende vom Haus, so weit voneinander entfernt wie möglich. Zum Arbeiten braucht man Ruhe und eine gehörige Portion Alleinsein. Es mag Schreiber geben, die anders arbeiten, die meisten aber kommen früher oder später zu der An- und Einsicht, dass Konzentration essenziell ist.«

Scarlett nahm den Gedanken auf: »Neuer Tag in Pankow ist so gut geworden, weil Jürgen allein zu Hause war. Ich war auf dem Bau, und er konnte, ohne auf mich Rücksicht nehmen zu müssen, im Studio arbeiten.« Ehle ergänzte, dass 2011 alles, aber auch alles gepasst habe. Am Album hat er ungefähr tausend Stunden im Studio gearbeitet, dreieinhalb Monate. Die Zeit fürs Komponieren und das Schreiben der Texte nicht gerechnet. Mit dem Album Fifty & Fifty des Duos war es umgekehrt. Als Scarlett es konzipiert und geschrieben hat, war Jürgen mit Pankow auf Tour, so dass sie die nötige Ruhe zur Arbeit hatte.

»Das hört sich so an, als könntet ihr am besten arbeiten, wenn ihr voneinander entfernt seid. Und dann zieht ihr in ein Haus?« fragte ich.

Jürgen rückte den Gedanken zurecht: »Ganz so ist es nun auch nicht. Immerhin sind viele Projekte realisiert worden, als wir beide zu Hause waren. Es gibt Arbeiten, da ist es gut, beieinander zu sein, und es gibt welche, die muss man allein mit sich abmachen. Viele Lieder, die man von Pankow kennt, habe ich im Zug geschrieben, beim Warten auf den Bus oder im Urlaub. Ich bin Fußgänger, in Berlin kann ich zwar vor die Tür gehen, um zu spazieren, aber nicht, um zu schreiben. Es ist zu laut und zu intensiv, immer ist man abgelenkt. Hier werde ich mir die Gitarre nehmen, ein paar Schritte die Allee runter laufen, mich auf einen Baumstumpf setzen und schreiben. Darauf freue ich mich.«

Scarlett und Jürgen haben ausgiebig über ihr zukünftiges Zuhause nachgedacht. Das Haus ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: erstens durch die großzügige und geschickte Anlage der Arbeits- und Wohnräume; zweitens durch die Verwendung traditioneller Materialien wie Lehm und Holz; drittens wegen der effizienten alternativen Energiegewinnung, und nicht zuletzt wegen der Baukosten, die aufgrund der konsequenten Nutzung des Vorhandenen und der selbst erbrachten Leistungen im Rahmen blieben.

Am Bauwagen beginnt der Garten, groß genug, dass den beiden Vegetariern um die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse nicht bange sein muss. Daneben ist eine Regenwassersammeltonne ins Erdreich eingelassen, am Rand des Grundstücks die Pflanzenkläranlage, auf dem Dach Sonnenkollektoren. An der Nordseite stehen die Verdampfer der Direktwärmepumpe, Heizungs- und Kühlanlage zugleich. Diese hocheffiziente Technik hat den unschätzbaren Vorteil, dass kein Wärmespeicher Platz im Keller beansprucht.

In dem Haus steckt auf der einen Seite jede Menge moderner Technik, auf der anderen Seite wurde alles verbaut, was sich wiederverwenden ließ. So hat jedes Fenster eine Geschichte und war schon irgendwo eingesetzt. Scarlett zeigte auf die Fenster der Ostseite: »Die hat einer ausgebaut, weil er in der Nähe des Flughafens von Köln, wo sie eine neue Startbahn gebaut haben, wohnt und er neue Schallschutzfenster bekommen hat.« Sie drehte sich im Uhrzeigersinn: »Die sind aus Osnabrück, das aus Berlin, das aus Cottbus, die Dachfenster aus München und Augsburg. Wir haben sie alle billig im Netz geschossen und eingesammelt, wenn wir auf Tour waren.«

Scarlett blieb noch einen Augenblick bei dem Gedanken der Nachhaltigkeit: »Natürlich kann man ein neues Haus nach den modernsten Erkenntnissen hinstellen, das war aber nicht unser Ansatz. Nachhaltigkeit heißt für uns auch, zu verwenden, was noch zu gebrauchen war, also schon beim Bau mit so wenig Energie wie möglich auszukommen.«

Ihr wollt hier nicht nur in aller Stille leben und arbeiten?»

Ehle: «Es soll auch ein Ort für Begegnungen werden. Hier werden Veranstaltungen stattfinden. Es ist Platz für zwanzig, dreißig Besucher. Oben sind zwei Gästezimmer. Wir liegen am R 1, dem Europaradweg, der von Boulogne-sur-Mer bis Stankt Petersburg führt, und so wird vielleicht der ein oder andere hier haltmachen, um zu übernachten. Und weil man mit Menschen gut reden kann, haben Scarlett und Ehle Pakete zum Verschenken und zum Sich-selber-eine-Freude-machen geschnürt, in denen CDs, Konzertkarten und Übernachtungen enthalten sind. Man kann heute schon Gästezimmer an diesem besonderen Ort buchen und bezahlen und hilft den beiden somit bei der Finanzierung des Projekts.

Sollten Sie hinfahren, wird Ihnen die Textzeile aus einem Lied von Werner Richard Heymann und Robert Gilbert einfallen, die da lautet: »Das muss ein Stück vom Himmel sein.«

www.scarlett-o.de

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