Zwischen Tradition und Moderne

Frauen und Geschlechterpolitik in den Ländern der Arabellion

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Sammelband fragt danach, ob Frauen die Verliererinnen der Arabellionen sind und wie sich die Geschlechterverhältnisse seit Beginn des arabischen Frühlings verändern.

Die Bilder, die uns anfangs von den Umstürzen in der arabischen Welt erreichten, zeigten oft Frauen: meist junge, mit und ohne Schleier, lachend oder kämpferisch - und anscheinend gleichberechtigt. Doch inzwischen häufen sich Berichte, nach denen Demonstranten, Polizisten oder Soldaten gezielt Aktivistinnen angreifen und entwürdigen. Die politisierten Frauen sind selbstbewusst geworden, doch ein islamistischer Roll-Back will sie vielerorts in Haremszeiten zurückkatapultieren. Sind die Frauen die Verliererinnen der Arabellionen? Wie verändern sich die Geschlechterverhältnisse in Ägypten und Tunesien sowie Marokko, Syrien, Jemen und Saudi-Arabien?

Diesen Fragen widmet sich der Sammelband »Arabischer Frühling? Alte und neue Geschlechterpolitiken in einer Region im Umbruch« aus der Reihe »Feministisches Forum - Hamburger Texte zur Frauenforschung« des Centaurus-Verlages. Enthalten sind 21 Beiträge von WissenschaftlerInnen, JournalistInnen und KünstlerInnen zu Frauen- und Genderpolitik. Ergänzend werden die Waffenlieferungen der Bundesrepublik in die arabischen Gebiete beleuchtet. Ein Artikel über syrische Flüchtlingsfamilien in Libanon sowie Briefe syrischer Künstlerinnen zeigen das Leid des Bürgerkrieges, von der Fotografin Nicole Hertel stammen berührende Bilder.

Übergriffe gegen Frauen sind nicht neu, sondern gehören in Ägypten zum Alltag. Claudia Froböse widerlegt den Mythos von der Gleichheit der Geschlechter in den ersten Tagen auf dem Tahrir-Platz. Seit das Foto vom »Blue Bra Girl« um die Welt ging, auf dem Polizisten eine Frau attackieren, deren Oberkörper bis auf einen blauen Büstenhalter entblößt ist, wird auch in Ägypten sexualisierte Gewalt öffentlich angeprangert, haben sich Netzwerke, Nachrichten- und Dokumentationskollektive gebildet, die eingreifen, Kurse zur Selbstverteidigung organisieren und Informationsportale betreiben. Darüber werde in den westlichen Medien kaum berichtet, konstatiert Ilka Eickhof. Statt dessen gebe es »traurige Narrative von Unterdrückung, Tradition und ›dem schwachen Geschlecht‹«.

Die Neuen Medien spielen eine aktive und treibende Rolle in der arabischen Öffentlichkeit. Facebook und Blogs erlauben es Frauen, sich zu äußern, ohne dass sie das Haus verlassen und sich kompromittieren müssen. Denn gleichzeitig würden von einem Großteil der Bevölkerung die Hierarchien und strengen Alltagsregeln »nicht in Frage gestellt«, konstatiert Sarah Keller für Ägypten. Tabubrüche wie von der ägyptischen Bloggerin Alia Mahdi, die mit einem Nacktfoto das Selbstverfügungsrecht über ihren Körper einfordert, bleiben Einzelfälle. Der westliche Feminismus sei für die Frauen kein Vorbild. Er trage den Makel, ein Instrument kolonialer Dominanz zu sein, so Keller.

Unterschiedlich bewerten die AutorInnen die Haltung zum Niqab, dem Gesichtsschleier. Mario Tadzio Thalwitzer und Claudia Throm beschreiben für Jemen eine »Emanzipation im Niqab, nicht vom Niqab«. Dagegen stellt Eva Fuchs die jemenitische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman vor, die ihren Schleier öffentlich ablegte und die Frauen aufforderte, es ihr gleichzutun. Das Buch zeigt: »Die arabische Frau« ist ein Klischee. Prägungen und Ziele von Frauen und Transgender unterscheiden sich je nach Alter, sozialer Schicht, Bildung oder regionaler Herkunft. Die Spannbreite reicht vom Niqab bis zum Nacktbild im eigenen Blog, vom antikolonial motivierten Nationalstolz bis zum Zorn der Hausfrauen in Alexandria, die die Polizei von ihren Balkonen herab mit Blumentöpfen bewarfen. Ein wichtiges, ein interessantes Buch, das auch eines leistet: Es gibt den Revolutionen Gesichter - die Gesichter von Frauen.

Dagmar Filter, Jana Reich, Eva Fuchs (Hrsg.): Arabischer Frühling? Alte und neue Geschlechterpolitiken in einer Region im Umbruch. Centaurus-Verlag, 353 Seiten, 24,80 Euro.

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