Bedroht die Gentrifizierung das bunte Zusammenleben in Marseille?

  • Charlotte Noblet
  • Lesedauer: 2 Min.
Marseille, die Kulturhauptstadt 2013, bietet zwei neue Museen mit einer Flaniermeile und bald Luxus-Boutiquen in frisch renovierten alten Arkaden. So sollen die Kreuzfahrtgäste empfangen werden und gleich ihr Geld im Zentrum der Hafenstadt ausgeben. Auf Kosten der Einwohner?

In Marseille sind die Stadt- und Raumplaner in vollem Gange. Ihr Ziel: Die Stadt zu einer der attraktivsten europäischen Metropolen umzubauen. In diesem Jahr trägt die französische Hafenstadt den Titel Kulturhauptstadt »Marseille-Provence 2013«, und so geben sich die Verantwortlichen noch ein bisschen mehr Mühe. Doch der Umbau geht womöglich zu Lasten der Einwohner von Marseille. So sollen für das Projekt Euromediterranee und den lokalen Bebauungsplan unerwünschte Wohnorte weichen. Der Verein »Ein Stadtzentrum für Alle« kritisiert diese Vorgehensweise.

Traditionell befinden sich die Wohnungen im Zentrum Marseilles, zum Großteil sind sie in einem schlechten Zustand. Müll und Ratten sind ein gewohntes Bild in den Straßen. Mit der Sanierung und der Behebung dieser Problemen, eröffnen sich für die Bewohner jedoch neue Schwierigkeiten: Sie können die Mieten nicht mehr bezahlen oder die Wohnungen werden in Gewerberäume umgewandelt.

In der Rue de la République ist das Ergebnis dieses Prozesses unverkennbar: Leere Boutiquen mit sauberen Fassaden stehen zur Vermietung, Wohnungen werden zum Verkauf angeboten. »Marseille plant eine auf Tourismus und Hotellerie basierende Stadtentwicklung. So werden Industrie- und Gewerbezonen für Büros und Hotellerie freigegeben«, erklärt der Volkswirt Patrick Lacoste bei einer Diskussion des Kollektivs »Pensons le Matin« über Spaltung in der Stadt. »Diese Branchen entsprechen aber nicht dem berufssoziologischen Profil der Mehrheit der Marseiller.«

So entwickelt sich ein Gefühl von Enteignung. Immer mehr wird über Gentrifizierung im Zentrum von Marseille gesprochen. »Hinzu kommt, dass die Stadt Marseille nicht genug Sozialwohnungen baut«, ergänzt Patrick Lacoste. »Private Mietobjekte ersetzen die Sozialwohnungen. Ausbeuterische Eigentümer, sogenannte «Marchands de sommeil», verursachen schreckliche Wohnbedingungen für arme Familien.«

Die Situation könnte explosiv werden: Dem französischen Statistikinstitut INSEE zufolge sind zehn Prozent der reichsten Marseiller 15 Mal reicher als zehn Prozent der ärmsten Marseiller. Diese großen Unterschiede in der Bevölkerung werden bei der Stadtentwicklung nicht berücksichtigt, sondern im Gegenteil eher noch vertieft. Findet das traditionelle Zusammenleben in Marseille nun ein Ende? Marseille sollte zu den attraktivsten europäischen Metropolen gehören. Ist aber die bunte Mischung ihrer Einwohner auf den Straßen nicht genau, was den Reiz der Hafenstadt ausmacht?

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.