Orte der Stille
31.8.: Tag des Industriedenkmals
Die Hüllen sind nicht gefallen. Nur das Innere ist verschwunden. Es wurde weggeräumt.
Die Arbeitsinnenleben auf der Kippe, beseitigt von eigens dafür gegründeten Trägergesellschaften für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Neun von zehn in Arbeitnehmer verwandelte Arbeiter mutierten zu Arbeitslosen: Kapitalismus in Reinkultur. Die light-Fassung nannte sich in der ersten Nachwendezeit Vorruhestand.
Großbetriebe, erbaut vor dem vorvorigen Jahrhundertwechsel, nach der Bombardierung Mitteldeutschlands aus den Trümmern gegraben, Flickwerk im Zuge der Reparation.
Irgendwie wurden sie doch in Gang gesetzt und gehalten und bis 1990 auf Verschleiß gefahren. Danach verloren sie ihr Humankapital. In den Büchern waren sie längst abgeschrieben. Heute stehen sie als Korpusse in verlassener Landschaft. Umgewidmet zu Lofts oder Großraumbüros werden sie von Art-Directors und solventen Bewohnern wieder belebt.
Auf Maix Mayers Fotografien sind es Ort der Stille und Orte des künftigen »Styles«. Der Fotograf vermittelt dem Betrachter ein Raum-Gefühl, das die Zeit gespeichert hat. Die Ästhetik des Verfalls wird ohne jedes Beiwerk in Szene gesetzt.
Ins Licht geraten die Bühnen der verlorenen Arbeitsplätze, zurückgeblieben ist ein Aus-Schlachtfeld, ein Terrain für Graffiteure: Wendewände, Türen - aus den Angeln gehoben, Glas - zu Bruch gegangen, Rohre - die ins Nichts führen. Eine Kulisse für die Tatort-Drehs der Fernsehunterhaltung. Mekka der Metalldiebe.
Das Interieur, auf das der Fotograf gestoßen ist, stammt aus den früheren Fünfjahr-Plänen der DDR-Wirtschaft: ein Zeitmesser, ein Tisch, eine Krankanzel, ein Fahrerhaus, eine Waage, ein Deckenventilator.
Motive wie sie als Rudimente bei bildenden Künstlern wie Tim Eitel, Johannes Rochhausen und Almut Zielonka zu finden sind. Gefallen fand der Fotograf dabei an den Ver-Botschaften, die auf die einstige Bestimmung der Räume schließen lassen wie »Rauchen streng untersagt!« oder »Zutritt verboten«.
Weitsichtiger hingegen ist eine Losung aus der Zeit der Mangelware, die in der heutigen Zeit der Massenware erst recht beherzigt werden sollte: »Besser der Kunde kommt wieder und nicht die Ware.« Ein Hinweis in drei europäischen Sprachen.
Danke Maix Mayer für die Expedition zu den Bühnen der Vollbeschäftigung, als der Arbeiter noch seinen festen Platz an der Werkbank, in der Kantine und unter der Dusche hatte und der Achtdreiviertelstundentag den Partei-Arbeitern noch zur Verklärung der Wirklichkeit diente.
Maix Maier: Die vergessenen Orte der Arbeit. Mit Texten von Emilia Thalheim. Herausgegeben von Olaf Jacobs. Mitteldeutscher Verlag. 160 S, geb., 24,95 €.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!