Untergang im Unterhaus
Mehrheit des britischen Parlaments schmetterte die Kriegspläne von Premier Cameron ab
Erst gegen seinen Willen die Abgeordneten aus dem Urlaub zurücktrommeln müssen, dann seine Parlamentsvorlage zum Syrien-Krieg wegen Widerstands der Labour-Opposition verwässert zu sehen, trotzdem von Nein-Stimmen seiner eigenen Hinterbänkler in eine krachende Niederlage gezwungen: David Cameron hat die Unterhaus-Debatte über den Bombenkrieg nicht genossen. Das zeigte sich schon an seiner trotzigen Wortwahl: Die Irak-Invasion vor zehn Jahren habe die öffentliche Meinung in Britannien »vergiftet«. Die wohl unbeabsichtigte Gleichsetzung des angeblichen Giftgasbenutzers Assad und des eigenen Vorvorgängers Tony Blair ging ins Auge. Denn Blair unterstützt lautstark die US-Angriffspläne: Cameron sollte mit Freunden nicht so grob umspringen.
Das Völkerrecht verbiete den Gebrauch von Chemiewaffen, so Cameron mit Recht. Assad sei ein Diktator, britische Geheimdienstler behaupteten, es sei fast sicher, dass C-Waffen benutzt worden seien und ebenfalls fast sicher, dass der Waffengebrauch von der syrischen Regierung ausgegangen sei. Kurz: Zeit zum Handeln. Genau das bestritt Labour-Chef Ed Miliband. Jawohl, schlimme Untaten seien im Bürgerkrieg begangen worden, auf beiden Seiten. Warum aber vorschnell handeln, wenn man auf das Urteil der UNO-Waffeninspektoren warten könne? Kein prinzipielles Nein, aber zumindest keine fraglose Solidarisierung mit der US-Linie: Blairs Nibelungentreue zu »Dubya« hat bei Labour ausgedient, selbstständiges Denken - und der Glaube an die UNO - sind wieder erlaubt. Die Labour-Vorlage wurde zwar im Unterhaus klar abgelehnt, aber zur allgemeinen Überraschung auch Camerons Kriegsfahrplan. Diese Nicht-Entscheidung bedeutete jedoch das Scheitern von Camerons Plan. Auf Drängen Milibands musste der Premier zugeben: Diesmal wird aus der geplanten britischen Kriegsbeteiligung nichts.
Die Erinnerung an Irak 2003 war in Westminster präsent. Auch damals hieß es, ein Diktator bedränge das eigene Volk und die Nachbarn, bedrohe den Weltfrieden. Auch damals stand die Mehrheit der Briten den Regierungsplänen skeptisch gegenüber: Heute lehnen 50 Prozent auch nach dem Chemieangriff in Damaskus den Bombenkrieg ab, nur 25 Prozent Unentwegter sind von der Regierungsrhetorik überzeugt. Hohe ehemalige Militärs, rechte Journalisten wie der »Daily Telegraph«-Kolumnist Max Hastings sowie linke Labour-Abgeordnete wie Diane Abbott und Jeremy Corbyn verlangen Klarheit über Kriegsziele, zweifeln an der Verhältnismäßigkeit eines Angriffs, denn »chirurgische« Bombardements gibt es nicht. Sogar der ehemalige konservative Außenminister Lord Douglas Hurd wusste im Oberhaus nicht, wie ein Angriff dem syrischen Volk helfen könnte.
Auch die britischen Wähler trauen dem Kriegsherrn Assad nicht. Aber den eigenen Regierenden genauso wenig. Der allein regierende Blair konnte sich vor zehn Jahren gegen den Widerstand im Volk durchsetzen. Der geschwächte Koalitionsvorsitzende Cameron schafft es heute nicht.
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