Rote Karte für Agrarindustrie

Demonstranten umzingelten Hähnchenschlachterei

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 7000 Demonstranten protestierten am Samstag gegen Europas größten Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze. Drei Wochen vor den Bundestagswahlen machten sie ihrem Unmut über eine Agrarpolitik Luft, die auf immer größere Einheiten und immer weniger ethische und moralische Standards setzt.

»Dieser Schlachthof ist ein Symbol für eine verfehlte Agrarpolitik«, ruft Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und deutet auf das riesige Areal, auf das sich der Demonstrationszug zubewegt. Ein stabiler Metallzaun, der von Stacheldraht gekrönt ist, mit Videokameras bewehrte Masten und Wachleute, die mit Schäferhunden über das weitläufige Gelände pa- trouillieren, sorgen für eine abschreckende Atmosphäre um Europas größten Geflügelschlachthof. Der steht im niedersächsischen Wietze, rund vierzig Kilometer von der Landeshauptstadt Hannover entfernt und ist politisch gewollt.

Mit 7,3 Millionen Euro wurde die vor kritischen Blicken abgeschirmte Anlage von Land und Bund subventioniert. 430 000 Hühner dürfen hier täglich geschlachtet werden, so sehen es die Genehmigungen vor, die Behörden dem Fleischunternehmer Franz-Josef Rothkötter bewilligt haben. Ein Unding in den Augen der Gegner von Massentierhaltung wie Gerhard Thies, dessen Haus nur wenige hundert Meter vom Megaschlachthof entfernt steht. Thies hat sich nicht eingereiht in den Demonstrationszug, der hinter dem Rathaus von Wietze startete und dessen Ziel es war, den Schlachtbetrieb mit einer Menschenkette zu umzingeln. Kein Problem für die rund 7000 Demonstranten - die Veranstalter hatten zuvor auf mindestens 5000 gehofft.

»Ein notwendiges Signal«, sagt Pavlos Georgiadis. Der griechische Bio-Olivenbauer ist hier, um gegen eine Agrarpolitik zu demonstrieren, die weltweit aus dem Ruder läuft. »Wenn wir Angst haben, was auf unseren Teller kommt, haben wir ein Problem. Wenn wir Schlachtfabriken schützen wie Atomkraftwerke oder Militärstützpunkte, dann haben wir ein Problem«, so der Landwirt. Er kritisiert, dass in Griechenland junge Leute kaum eine Chance haben, in die Landwirtschaft einzusteigen. Auch in Deutschland steigt das Durchschnittsalter der Bauern, die zudem immer öfter zu Befehlsempfängern der Agrarindustrie werden.

»Rothkötter und Co. schreiben den Hühnermästern alles und jedes vor«, klagt eine Milchbäuerin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Sie fürchtet ähnliche Strukturen für den Milchsektor und will sich gegen die Durchindustrialisierung der Landwirtschaft wehren: »Bäuerliche Landwirtschaft geht anders, sie arbeitet ressourcenschonend, tritt für den Erhalt der Artenvielfalt ein und ist die Landwirtschaft, die wir wollen«.

Forderungen, an denen die Politik nicht mehr vorbeikommt, so Christoph Bautz vom Kampagnennetzwerk Campact, das auch zum Bündnis gehört und mit Lautsprecherwagen und Pappmachéhühnern gegen die Tiermast mit Antibiotika und Gensoja mobil macht. Unter den Demonstrierenden war auch der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer von den Grünen, der begonnen hat, die Agrarpolitik in Niedersachsen zu modifizieren.

Dabei sei aber auch der Verbraucher gefragt, so die Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, Rebecca Harms. »Schön wäre es, wenn alle jetzt auch bewusster einkaufen.« Aus ihrer Sicht ist es bedauerlich, dass von den Agrarsubventionen derzeit in erster Linie die Agrarindustrie profitiert. Das soll sich ändern, fordern die Demonstranten auf unzähligen Transparenten, von denen viele schließlich am Zaun der Schlachtanlage hängen. Ihre Aussage: »Wir haben es satt«.

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