Was die Krise mit den Menschen anstellt
Von »Bankster« bis »Pulsarnacht« - die zeitgenössische Literatur hat sich längst des Themas angenommen
Die wirtschaftliche Krise, die spätestens mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers zum großen gesellschaftspolitischen Thema wurde, schlägt sich natürlich auch in der Literatur nieder. Das begann hierzulande mit den isländischen Romanen, die 2011 die Frankfurter Buchmesse beherrschten. So etwa in Guðmundur Óskarssons eindringlich geschriebenem Roman »Bankster«, der von der Depression und Verzweiflung zweier arbeitslos gewordener Banker erzählt, während die Demonstrationen nach der Staatspleite 2008 in Reykjavik das Hintergrundrauschen des persönlichen Krisengeschehens der Hauptpersonen bilden. Die Krise thematisiert aber auch Rainald Goetz, der in »Johann Holtrop« die Geschichte eines gefallenen Kapitalisten erzählt. Oder Nathaniel Rich, das literarische Nachwuchstalent aus New York, der kürzlich in dem Katas-trophenepos »Schlechte Aussichten« Manhattan per Hurrikan flutet und einen Risikoversicherungsmanager inmitten des maximalen Krisenszenarios eine Katharsis erleben lässt. Die Krise schreibt sich jedenfalls in verschiedenen Formen tief in die Matrix der zeitgenössischen Literatur ein.
Am direktesten von der Leh-man-Pleite handelt John Lanchesters 700-seitiger Roman »Kapital«. Darin gibt er einen panoramaartigen Überblick über das, was die Krise mit den Menschen anstellt. Der 1962 geborene Sohn eines Bankers erzählt, wie die Bewohner einer ehemaligen Londoner Working-Class-Straße, die plötzlich aufgewertet wird, das Jahr vor dem großen Crash erleben. Das Personal dieser voluminösen Geschichte reicht vom Banker, der schon vorher in eine tiefe Krise stürzt, weil die Weihnachtsgratifikation ausbleibt, bis hin zu einer pakistanischen Familie, die rassistischer Polizeirepression ausgesetzt ist. Interessanterweise ist die Fallhöhe des Bankers am größten. Nach der Lehman-Brothers-Pleite verliert er alles, inklusive Familie und Haus. Lanchester schildert aber auch, wie einige Menschen, etwa Hausbesitzer, an der Krise verdienen und andere, vor allem Migranten und Illegale, immer mehr unter Druck gesetzt werden. Ein Stück weit funktioniert der Roman wie eine Umsetzung von Marx’ Vorstellung der Charaktermasken des Kapitalismus, denn alle agieren nach den Vorgaben des Titel gebenden »Kapitals«. Heimlicher Hauptprotagonist des Romans ist eigentlich das Geld, das mit den Menschen ganz einfach macht, was es will.
Welche psychischen Auswirkungen die Krise auch in der hiesigen Arbeitswelt erzeugt, davon erzählt auf recht pointierte Art Enno Stahl in seinem Roman »Winkler, Werber«. Der 50-jährige Werbefachmann Jo Winkler verbringt zwei Tage bei einem Betriebsausflug mit gut zehn Kollegen. Krisenbedingt ist die ehemalige Erfolgswerbefirma auf dem absteigenden Ast, will heißen: Personal wird abgebaut. Winkler, der sich für das Alphatierchen des Betriebs hält, steht in Wirklichkeit ganz oben auf der Abschussliste. Enno Stahl lässt den Betriebsausflug komplett eskalieren, einschließlich eines Schiffsunglücks am Loreleyfelsen und einer Schlägerei beim gemütlichen Abend mit alkoholischen Getränken, wo der Chef mal so richtig eine verpasst bekommt. In dem Abgesang auf den Mythos des leistungsorientierten, mittelständischen Selfmade-Erfolgsmenschen taucht die Krise ganz langsam auf, um dann umso heftiger zuzuschlagen. Bis am Ende die zurechtgestutzte Hauptperson im wahrsten Sinn des Wortes am Abgrund steht.
Neben dem kompletten persönlichen Zusammenbruch der Akteure oder der reinigenden Wirkung der Krise, die ein Stück weit auch der ehemalige Erfolgsbanker bei John Lanchester erlebt, entstehen natürlich auch widerständige Bewegungen. Auf unorthodoxe, aber geniale Weise spiegelt das Dietmar Dath in seinem letzten Winter erschienenen Roman »Pulsarnacht«. In dem Science-Fiction-Epos setzt von einem Moment auf den anderen die rhythmische Aktivität aller Pulsarsterne im Universum aus. Die Folge dieses interstellaren Spannungsabfalls ist ein Zusammenbruch jeglicher staatlicher Macht. Diese soziale Implosion verändert kurzfristig die politischen Kräfteverhältnisse, langfristig wird die gesamte Herrschaftsordnung in ihrer bisherigen Form in Frage gestellt. Gleichzeitig reorganisiert sich eine vor langer Zeit geschlagene Rebellenarmee gegen die zuvor so übermächtig wirkende imperiale Ordnung. Mit der plötzlichen Krise tauchen auch Möglichkeiten auf, politischen und sozialen Widerstand zu organisieren.
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