Das »Projekt Gold« steht kurz vor seiner Vollendung. Im EM-Halbfinale drehte die deutsche Volleyball-Nationalmannschaft ein schon verloren geglaubtes Spiel zum 3:2 gegen Belgien. Im Finale am Samstag trifft sie nun auf Weltmeister Russland.
Der Traum vom EM-Gold schien schon ausgeträumt, doch Deutschlands Volleyballerinnen haben ihn wieder auferstehen lassen. In einem Halbfinalkrimi gewannen sie gegen Belgien 3:2 und stehen im Finale am Samstag in Berlin.
Die Belgierinnen starteten besser und führten schnell 4:1, ein Vorsprung, dem die deutsche Mannschaft lange hinterherlief. Immer wenn sie auf einen Punkt herankam, hatten die Belgierinnen vor allem mit starken Aufgaben die bessere Antwort. Am Ende des ersten Satzes zog Belgien dann davon und beendete ihn schnell mit 25:18. Ausgerechnet per Videobeweis, der bei dieser EM-Finalrunde zum ersten Mal getestet wird.
Belgien überzeugte vor allem mit starker Feldabwehr und einem nahezu fehlerlosen Angriffsspiel. Der Block der Deutschen kam immer wieder zu spät, vor allem gegen die agilen Angriffe über die Mitte. Erst mit zwei erfolgreichen Angriffen und einem Ass sorgte Kapitänin Margareta Kozuch erstmals für eine größere deutsche Führung (7:4) im zweiten Satz. Endlich gingen auch die langen, umkämpften Punkte an Deutschland. Die 7137 Fans ließen die Max-Schmeling-Halle beim 10:7 fast explodieren, an der Spitze Bundestrainer Giovanni Guidetti, der seinen Frust vom ersten Satz anscheinend einfach mal hinausbrüllen musste.
Die Kulisse schien seine Mannschaft jedoch verbunden mit der großen Chance auf ein EM-Finale daheim teilweise zu lähmen. Vor allem die bislang so überzeugende Außenangreiferin Maren Brinker machte ungewöhnlich viele Fehler. So verspielten die Deutschen eine 19:15-Führung zum 19:23. Auch eine Auszeit des zunehmend ratlos wirkenden Guidetti half nichts. Belgien blockte sich zur 2:0-Satzführung (25:20). Das im Mai ausgerufene »Projekt Gold« schien fehlzuschlagen.
Im dritten Durchgang erwischte die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) erneut den besseren Start und ging mit einem 8:5-Vorsprung in die erste technische Auszeit. Doch unter den Augen des neuen IOC-Präsidenten Thomas Bach kamen die Spielerinnen aus dem Heimatland seines belgischen Vorgängers Jacques Rogge erneut besser aus der Unterbrechung zurück. Sie gingen auch aufgrund vieler leichter Fehler der Deutschen selbst wieder in Führung (13:12).
Die überragende Libera Belgiens, Charlotte Leys, kratzte einen deutschen Angriff nach dem nächsten vom Boden. Beim Stand von 15:17 ging Guidetti Risiko und wechselte die erste Zuspielerin Kathleen Weiß sowie Hauptangreiferin Margareta Kozuch aus. Teilweise ließ er seine Mannschaft sogar komplett ohne Zuspielerin spielen. Die Punkte mussten also durch die Aufgaben und den Block gemacht werden. Und sie wurden gemacht. Plötzlich war die DVV-Mannschaft wieder mit 19:18 vorn. Der Knoten war geplatzt, mit 25:21 ging Satz drei an Deutschland.
Doch Belgien zeigte sich davon keineswegs geschockt. Mit 10:5 verschafften sie sich schnell eine beruhigende Führung in Satz vier. Nach fünf Matches gegeneinander in diesem Jahr hatte Belgiens Trainer Gert Vande Broeck die Schwächen der Deutschen offenbar besser analysiert als Guidetti die der Belgier. Brinkers und Kozuchs krachende Angriffe wurden reihenweise in der Feldabwehr entschärft.
Dass dieses Spiel aber noch einmal eng werden würde, war schon daran abzulesen, dass die Deutschen das letzte Aufeinandertreffen im Euroleague-Finale mit 3:2 gewonnen hatten. Und so kam die DVV-Auswahl doch noch einmal zurück. Angetrieben vom frenetischen Publikum drehten sie den Satz zum 19:18. Wieder hatte Guidetti den Doppelwechsel zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt. Jeder Punkt war nun umkämpft, fast jeden holte Deutschland. 25:21, niemand sasß mehr in der Halle. Niemand außer Thomas Bach, der neuerdings zur Neutralität verpflichtet ist. Der Autor dieser Zeilen eigentlich auch, doch er pfiff längst drauf.
Auch der Tiebraek blieb lange Zeit knapp. Deutschland ging beim Stand von 5:4 erstmals in Front. Die Seiten wurden bei 8:7 für Belgien gewechselt. Doch das Finale so dicht vor Augen stieg die Fehlerquote der Belgierinnen immer weiter an. 10:8 für die DVV-Auswahl. Die machte ihrem Ruf, niemals aufzugeben, mal wieder alle Ehre und gewann mit 15:11.
Im Finale trifft die deutsche Mannschaft auf Weltmeister Russland, der den noch amtierenden Europameister Serbien mit 3:0 aus der Halle gefegt hatte. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass uns eine Mannschaft jemals so geschlagen hat wie von der russischen heute«, musste Serbiens Kapitänin Maja Ognejenovic anerkennen. »Sie waren uns in allem überlegen, vor allem im Aufschlag und im Block. Sie sind lang und trotzdem so beweglich, dass wir immer einen Dreierblock gegen uns hatten.« Gefragt, ob ihr doch noch ein Rezept einfalle, wie die Russinnen zu schlagen sein, überlegte Ognejenovic erst lang und sagte schließlich: »Ich habe wirklich keine Ahnung, wie.«
Auf der anderen Seite strotzte Russlands Spielführerin Jekaterina Pankowa vor Selbstvertrauen. »Ich hatte gar nicht erwartet, dass es so leicht werden würde. Aber ich merkte schnell, dass wir dieses Spiel gewinnen würden und Kraft für das Finale morgen sparen können«, sagte die 23-Jährige aus Odinzowo. »Serbien ist eigentlich ziemlich stark und wir hatten uns darauf eingestellt, hart kämpfen zu müssen«, zeigte sich auch Libera Swetlana Krjutschkowa überrascht ob der Leichtigkeit des Finaleinzugs.
Ob es morgen gegen die deutsche Mannschaft auch so einfach wird, bezweifeln die Russen jedoch. »Die Deutschen spiele vor ihrem Heimpublikum. Da werden wir nach jedem Ball rennen müssen«, sagte Krjutschkowa. »Eine Chance haben wir aber sicher trotzdem«, prognostizierte ihr Trainer Juri Maritschew mit einem verschmitzten Lächeln. Nach den Halbfinaleindrücken ist die ziemlich groß.