Meister der Groteske

Daniil Charms vor 100 Jahren geboren

  • Lesedauer: 2 Min.
Männer, die von der Straßenbahn überfahren werden oder sich mit Gurken die Schädel einschlagen, und neugierige alte Frauen, die aus dem Fenster stürzen, sind die Helden von Daniil Charms. Als Dichter mit Hang zum Absurden und Grotesken erlangte er bereits zu Sowjetzeiten Kultstatus. Dabei wurde ein großer Teil seiner Texte zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht. Manche wurden mit der Schreibmaschine abgetippt und unter der Hand verbreitet. Charms versteckte seine Erzählungen aus Furcht vor dem stalinistischen Terrorapparat in seiner Wohnung. Der literarische Nachlass überstand den Krieg wie durch ein Wunder. Ein Freund fand den Koffer mit den Manuskripten in dem nach einem deutschen Bombenangriff halb zerstörten Wohnhaus und rettete ihn aus dem belagerten Leningrad. Am 30. Dezember 1905 in St. Petersburg unter dem Namen Daniil Juwatschow geboren, nimmt Charms eine Sonderstellung in der russischen Literaturgeschichte ein. Er begann mit dem Schreiben in den Jahren nach der Oktoberrevolution, als die internationale Kunstwelt zur russischen Avantgarde aufschaute. Seine bekanntesten Grotesken entstanden aber erst seit 1930, als Stalins Kulturpolitik längst keine Avantgarde mehr duldete. Als Mitglied der Avantgarde-Gruppe »Vereinigung der realen Kunst« wurde er 1931 erstmals verhaftet und musste ein Jahr in der Verbannung zubringen. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er mehrfach auf der Straße festgenommen. Wegen seiner exzentrischen Kleidung hatten Passanten ihn für einen deutschen Spion gehalten, so womöglich auch im September 1941, als er offenbar auf dem Weg zu einem Leningrader Pfandhaus verhaftet wurde. Charms wurde zwar nicht verurteilt, aber für geistig unzurechnungsfähig erklärt und verhungerte Anfang Februar 1942 mit nur 36 Jahren während der Leningrader Blockade in der Gefängnispsychiatrie. Karsten Packeiser/ epd
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