»Der Senat wird sich an die Verpflichtung halten«
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ist gegen einen kompletten Rückkauf der Netze, will sich aber in jedem Fall ans Bürgervotum halten
nd: Herr Scholz, Sie sind gegen einen kompletten Rückkauf der Hamburger Netze. Was haben Sie den Befürwortern entgegenzuhalten?
Scholz: Wir haben mit den Energieversorgungsunternehmen vereinbart: Die Stadt übernimmt, solide finanziert, 25,1 Prozent an den Versorgungsnetzen und erhält strategischen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Gleichzeitig verpflichten sich die Unternehmen, am Standort Hamburg rund 1,6 Milliarden Euro in Projekte der Hamburger Energiewende zu investieren. Zum Beispiel in Wärmespeicher oder ein hochmodernes Gas- und Dampfkraftwerk. Das alles gewinnen wir.
Vattenfall will sich aus einigen Geschäftsfeldern zurückziehen. Ist der Konzern noch ein Garant für die Zukunft der Netze?
Sie können sicher sein, dass wir Vattenfall intensiv befragt haben. Die wollen in Hamburg bleiben. Wenn das nicht so wäre, könnten sie uns die Netze jetzt ja anbieten. Das hat Vattenfall aber nicht gemacht.
Mit welchen Kosten rechnen Sie, sollte der Volksentscheid erfolgreich sein?
Der 100-Prozent-Rückkauf würde die Stadt mehr als zwei Milliarden Euro kosten. Wir würden das komplette unternehmerische Risiko tragen - und bei der Energiewende keinen Schritt weiter kommen. Denn die für die Energiewende wichtigen Investitionen finden nicht im Netz, sondern zum Beispiel bei den Erzeugungsanlagen statt. Bei einem Kauf würden wir im Wesentlichen Rohre und Kabel bekommen. Auf Basis unserer Verträge mit den Unternehmen haben wir ein Viertel dieser Summe bezahlt, aber die für die Stadt wichtigen Investitionen durchgesetzt. Unser Motto heißt: mehr Energiewende für weniger Geld.
Bei voraussichtlichen Jahreseinnahmen von 450 Millionen Euro durch den Betrieb der Netze wirkt der Komplettkauf nicht gerade unbezahlbar.
Es gibt Leute, die sich in der Erwartung auf »voraussichtliche Einnahmen« bis über die Halskrause verschulden. In Hamburg wissen wir, dass in den letzten Jahren nicht wenige Leute Geld in Schiffsbeteiligungen gesteckt und auf sichere Gewinne gehofft haben. Manche sind jetzt insolvent. Viele haben Geld verloren. Man muss nüchtern und realistisch sein und sollte sich nichts schönreden. Bei der Elbphilharmonie hieß es jahrelang auch: »… das wird schon irgendwie werden …« - die Folgen sind bekannt. Übrigens: Wo viele Einnahmen verbucht werden, gibt es auch viele Ausgaben.
Die Initiative »Unser Hamburg - Unser Netz« ist sich aber sicher, der Kauf lasse sich durch den laufenden Betrieb refinanzieren.
Diese Behauptung ist - vorsichtig ausgedrückt - ziemlich gewagt und nicht belastbar. Es ist übrigens so, dass die Bundesnetzagentur, um die Verbraucher zu schützen, die Erlöse nach oben gedeckelt hat - nach unten aber nicht. Kommunale Netzbetreiber können auch Verluste machen. Und einzelne Kommunen äußern bereits öffentlich ihre Sorge, dass sie mit den Netzen in die Verlustzone rutschen könnten.
Was halten Sie von der Idee, die Hamburger Bürger durch den Kauf von Anteilen am Netze-Rückkauf zu beteiligen?
Das Genossenschaftsmodell steht bei dem Volksentscheid nicht zur Abstimmung. Wenn die Bürger sich dafür entscheiden, 100 Prozent zurückzukaufen, kann rechtlich nicht hinterher eine Genossenschaft die Netze übernehmen.
Wird der Senat den Wählerwillen umsetzen?
Ich bin ein Anhänger von Volksentscheiden. Ich habe immer gesagt, dass der Senat einen Volksentscheid nicht ins Leere laufen lassen wird. Das bedeutet in diesem Fall: Wenn die Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger den Senat im Volksentscheid verpflichtet, über zwei Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufzunehmen, wird der Senat sich an diese Verpflichtung halten. Wenn die Hamburger wollen, dass der Senat die Netze zu 100 Prozent erwirbt, heißt das aber: weniger Investitionen, weniger CO2-Reduzierung, weniger Arbeitsplatzsicherheit. Das wäre ein Rückschlag für die Hamburger Energiewende. Was man auch wissen muss: Ohne Konzession können Strom- und Gasnetze nicht betrieben werden. Die Konzession wird aber nicht per Volksentscheid vergeben, sondern in gesonderten, gesetzlich geregelten Vergabeverfahren. So fordert es das Energiewirtschaftsgesetz. Wenn die Stadt also nach dem Volksentscheid einer eigenen Firma die Netze zuteilt, kann das später vor Gericht noch scheitern.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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