Mit mitfühlenden Ohren
Musikfest Berlin: IPPNW-Concert mit Andras Schiff und Hanno Müller-Brachmann
Das IPPNW-Concert der »Ärzte gegen den Atomkrieg«, traditionell Teil des Musikfestes, hat jedes Jahr seine Ansprache. Mal besser, kritisch, mal schlechter mit Bla-Bla. Am Mittwochabend redete ein ziemlich gelackter Mann, Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von »Human Rights Watsch« (HRW), ein Menschenrechtler, wie ihn die ach so menschenachtende Gemeinschaft braucht und gut bezahlen lässt. »Unrecht braucht Zeugen«, überschrieb er, was da seinem Munde gelenkig entfuhr. Menschenrechtsverbrechen - wie neu - müssen aufgedeckt werden. HRW kämpfe für Gerechtigkeit und Sicherheit.
Für wessen, sagte er nicht, denn seine Einrichtung sei streng unparteiisch. Gefährdungen der Menschenrechte gäbe es auch in Europa, was freilich jeder die Tierrechte hochhaltende Foxterrier weiß. Welche, das blieb weitgehend offen. Lediglich ungarische Hässlichkeiten führte Michalski summarisch an. Soziale Menschenrechte, planetar mit Füssen getreten, blieben obligat ausgespart. Zuguterletzt Lob der Verdienste des ungarischen Pianisten András Schiff, der mit Hanno Müller-Brachmann den Abend bestritt.
Nun, das Benefiz-Musikprogramm (zugunsten des Ungarischen Büros von HRW) entschädigte. András Schiff spielte zwei Klavierwerke: Bartoks Suite für Klavier von 1916 und Janáceks Zyklus »Auf verwachsenem Pfade« (1901-08). Beides höchst ungleiche Werke, das erste voller Wechsel und blitzender Ausdrucksgehalte, das letzte nervös, zögerlich, unstet, beinahe ratlos in der Frage, die Fakturen geradewegs zu verlebendigen, und das wohl gerade darum mitfühlende Ohren nötig hat. Schiff spielte den Bartok, was des Bartoks braucht. Harlekinesk die Akkordbrechungen im Scherzo-Satz, sie weisen auf den »Wunderbaren Mandarin«, des Komponisten großes Werk. Beruhigend der Sostenuto-Satz mit seinen Akkordtrauben und schlichten Intervallbeziehungen am Schluss. Die Janácek-Wiedergabe schien stellenweise improvisiert. Da stockte es inmitten, die Finger wollten nicht, was die Noten wollen. Eine Entdeckung: Antal Doratis ausgedehnter Liederzyklus »Die Stimmen« für Bass und Klavier (1975) nach Rilke-Texten (1906).
Die thematisieren - Deutschlands Wirtschaft prosperierte seinerzeit - den gesellschaftlichen »Abschaum«, Menschen am Rand, hinter, unter der Gesellschaft. Ausgestoßene, vom »Bannstrahl« Getroffene, naturwüchsig Bestrafte. Der Dichter nennt sie »die Dürftigen«: Bettler, Blinde, Trinker und Selbstmörder, Witwen, Idioten, Waisen, Zwerge und Aussätzige. Die Klavierbegleitung ist aufs Ökonomischste angelegt. Eindrücklich der singende, sprechende, sprechmelodisierende Bass des Müller-Brachmann. Beklemmend jede Note, traurig wie Nieselregen die psychologische Kontur, bebend, fahl, zürnend der Gesang. Dorati versichert sich moderner Ausdrucksmittel aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts. Dazu passend am Schluss Mussorgskis »Lieder und Tänze des Todes«. Der Sänger, des Russischen erstaunlich mächtig, trieb sich hier bis zum Heldenbass hoch. Im Ganzen: Melancholie durchwehte den Kammermusiksaal der Philharmonie. Die Leute warens zufrieden. Erst recht, als die beiden Meister Schuberts »Doppelgänger« tief erschüttert zugaben und freudvoll »Die beiden Grenadiere«, Schumanns Reflex auf die Marseillaise, noch dranhängten.
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