Die Kaiserin und ihre Pudel

Beruhigung und Beunruhigung zugleich: Europäische Reaktionen auf das Bundestagswahlergebnis

  • Wolf H. Wagner und Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 5 Min.
Für Verwunderung hat der Wahlsieg Angela Merkels im Ausland gewiss nicht gesorgt. Die Prognosen waren schließlich eindeutig. Die Höhe ihres Triumphs ruft mancherorts jedoch Bewunderung hervor, vielleicht auch Neid - und verleitet zu zweifelhaften Vergleichen.

In Europas Monarchien sind Krönungsvokabeln verständlicherweise schnell zur Hand. In der niederländischen Tageszeitung »De Volkskrant« wird die bundesrepublikanische Kanzlerin beispielsweise prompt zur »Kaiserin von Europa« ernannt, das spanische Blatt »El Mundo«, bezeichnet sie als »Königin Angela I.« und erhebt sie zum »wichtigsten Politiker des XXI. Jahrhunderts in Europa«. Dabei ist das Jahrhundert noch nicht einmal 13 Jahre alt. Mindestens so zweifelhaft ist die Schlagzeile der Zeitung, die da lautet »Merkel, Merkel über alles«. Zumindest fragt sich, ob solche Töne tatsächlich Anerkennung oder gar Hoffnung verraten oder ob darin nicht vielmehr Ängste vor deutscher Vorherrschaft mitschwingen.

Viele Kommentatoren in südeuropäischen Staaten äußern die Auffassung, dass Deutschland eine starke Position in Europa bezogen habe, die es seit der Reichsgründung 1871 mit militärischen Mitteln nicht erzielen konnte. Dies beruhigt und beunruhigt zugleich: Die Erfahrungen mit einem mächtigen Deutschland im vergangenen Jahrhundert haben bei den Völkern Europas tiefe Wunden zurückgelassen.

Hoffen auf eine freundliche Monarchin

»Ta Nea«, Griechenlands größte Tageszeitung, zeigt die Kanzlerin gekrönt auf einem Thron, dem (Euro-)Volk freundlich zulächelnd, und schreibt von einem Triumph für die Königin der Austerität». So freundlich sahen die Griechen Frau Merkel in jüngster Zeit selten dargestellt, bei etlichen Demonstrationen wurde sie sogar mit Nazi-Insignien versehen.

Wer auf einen Regierungswechsel in Berlin gehofft und von einer rot-grünen Regierung eine baldige Auflockerung des strikten Sparkurses der eisernen Kanzlerin erwartet hatte, wird sich jedenfalls nun getäuscht sehen. Zwar gratulierte Spaniens rechter Ministerpräsident Mariano Rajoy artig zum Sieg der deutschen Schwesterpartei, doch dürfte er wissen, dass Spanien seine Anstrengungen zur Konsolidierung des Haushalts - samt schmerzhafter sozialer Einschnitte - beibehalten muss. «El Mundo» allerdings gibt sich der trügerischen Hoffnung hin, dass Merkel dank «gestärkter Führung» künftig mehr Spielraum haben wird, «um mit Unterstützung der SPD die Wirtschaftspolitik zu lockern und den Ländern mit Problemen, wie Spanien und Italien, aus der Krise zu helfen».

In Italien dagegen geht man davon aus, dass Frau Merkel keine Zugeständnisse machen wird. Dabei sind die jüngsten Wirtschaftszahlen erschreckend: Die Einbrüche beim Bruttoinlandsprodukt fallen nach Angaben der Statistiker in der vergangenen Woche noch stärker aus als befürchtet. Und wie die Staatsverschuldung verringert werden soll, ist den Regierenden um Ministerpräsident Enrico Letta noch ein Rätsel. Ungeachtet dessen machte Letta Angela Merkel ein «Kompliment für das brillante Wahlergebnis». Als «gutes Ergebnis für die EU» wertete er, dass die Euro-kritische Alternative für Deutschland (AfD) den Einzug in den Bundestag verpasst hat.

Lettas Vorgänger Mario Monti sagte der Tageszeitung «La Stampa»: «Der Kanzlerin ist es gelungen, den Eindruck von Konsequenz, Kontinuität und gesundem Menschenverstand zu vermitteln.» Monti hofft auf ein Bündnis von Union und SPD. «Falls eine große Koalition zustande kommt, rechne ich mit Fortschritten bei der europäischen Integration.»

Allseits bleibt die Frage offen, wie der Süden Europas auf ein Deutschland reagieren würde, das von einer rechnerisch möglichen Koalition aus SPD, Linken und Grünen regiert wird. Allerdings kann sich dies auch kaum jemand vorstellen. Die EU-europäischen Regierungschefs lassen in ihren Glückwünschen keinen Zweifel daran, dass sie ihre «enge Zusammenarbeit» mit der deutschen Regierungschefin fortsetzen wollen.

Frankreichs Präsident François Hollande etwa gratulierte Angela Merkel bereits am Sonntagabend telefonisch. Beide wollten «unablässig» daran arbeiten, dass Deutschland und Frankreich ihre Zusammenarbeit fortsetzen könnten, um die «neuen Herausforderungen der europäischen Konstruktion zu meistern», hieß es in der Erklärung aus dem Präsidentenpalast.

Britanniens Premier David Cameron gratulierte Merkel per Twitter: Er freue sich darauf, auch in Zukunft «eng mit ihr zusammenzuarbeiten», schrieb er in dem Kurznachrichtendienst. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bediente sich exakt der gleichen Worte und erklärte ergänzend: «Ich bin sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland und ihre neue Regierung weiterhin engagiert zum Aufbau eines friedlichen und wirtschaftlich erfolgreichen Europas beitragen werden, das allen Bürgern dient.»

In der eingangs zitierten linksliberalen niederländischen Zeitung «De Volkskrant» berief sich die Kolumnistin Sheila Sitalsing indessen auf einen ungenannten Diplomaten, der die EU als eine Union beschrieb, in der die «27 Pudel an der Leine von Angela Merkel laufen». Mit der «Haushaltsdisziplin, den Sparforderungen, der Bankenaufsicht, den Ausnahmen für Deutschlands Besonderheiten, der direkten Intervention in griechische innenpolitische Angelegenheiten, und mit Brüsseler Diplomaten, die nur außerhalb der Hörweite der Kaiserin klagen, dass ›die Deutschen nicht verstehen, warum der Rest der Europäischen Union ihr Modell nicht einfach übernimmt‹», sei Europa «bereits längst außerordentlich deutsch» geworden.

Was ist gut und was ist schlecht?

Als «schlechte Nachricht für Europa» wagte ein Sprecher der oppositionellen portugiesischen Sozialistischen Partei den merkelschen Triumph zu bezeichnen. Das Wahlergebnis stärke die Kanzlerin, die sich mit ihrem Kurs in Europa aber politisch isoliere.

Ungarns Premier Viktor Orbán dagegen feiert den Sieg der CDU/CSU fast wie den eigenen, denn er zeige, dass man mit einer «mutigen Politik» das Vertrauen der Wähler gewinnen könne. Ob Frau Merkel dieses Kompliment an den Rechtspopulisten Orbán zurückzugeben gewillt ist?

Die «Gazeta Wyborcza», Polens tonangebende Zeitung, stellt indes nüchtern fest: «Merkel zermalmt die Rivalen», schließt jedoch sofort die Frage an: «Aber mit wem wird sie die Deutschen nun regieren?»

Immerhin wusste selbst das russische Staatsfernsehen Gutes aus dem Wahlergebnis zu schöpfen: Es erkannte Parallelen zu Wladimir Putin. Angela Merkel stehe vor einer dritten Amtszeit, wie sie Putin gerade absolviere. Und würde Merkel direkt gewählt, käme sie wie Putin auf über 60 Prozent!

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -