Grüne bauen ihre Führung um - Roth und Künast ziehen sich zurück

Kritik an Wahlverlierer Trittin - Neuanfang auch an der Fraktionsspitze gefordert / Ströbele für rot-rot-grüne Gespräche

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin (Agenturen/nd). Nach dem enttäuschenden Abschneiden ihrer Partei bei der Bundestagswahl will die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth nicht wieder für ihr Amt kandidieren. Roth habe diese Ankündigung bei einem Treffen mit Bundestagsabgeordneten aus dem linken Parteiflügel der Grünen am Montagabend gemacht, berichtete »Spiegel Online« unter Berufung auf Teilnehmer. Roth wolle bei der geplanten Neuwahl des Parteivorstands im Herbst nicht erneut antreten. Stattdessen strebe sie nun an, Bundestagsvizepräsidentin zu werden, sagte Roth dem Bericht zufolge bei dem Gespräch. Für die Grünen hat diesen Posten bislang Katrin Göring-Eckardt inne, die als Spitzenkandidatin ihrer Partei in den Bundestagswahlkampf gezogen war.

Roth hatte am Montag in Berlin gesagt, dass der gesamte Grünen-Vorstand auf dem nächsten Parteitag zurücktreten werde, um das Gremium dann neu wählen zu lassen. Der Parteitag soll spätestens im November stattfinden. Der Ko-Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, kündigte seine erneute Kandidatur an. Roth sagte, sie habe sich bezüglich eines künftigen Parteiamtes zwar entschieden, wolle dies aber noch nicht öffentlich mitteilen. Bei der Bundestagswahl am Sonntag waren die Grünen mit 8,4 Prozent weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Bei der Wahl von 2009 hatten sie noch 10,7 Prozent erreicht, zwischenzeitlich lagen sie in den Umfragen deutlich darüber.

Auch die Fraktionschefin Renate Künast wird nicht wieder kandidieren. Sie habe diese bereits vor Längerem getroffene Entscheidung bei einem Treffen der Abgeordneten ihres Realoflügels mitgeteilt, sagte Künast am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie wolle stattdessen ebenso wie Claudia Roth für das Amt der Bundestags-Vizepräsidentin antreten. Künast sagte, bereits nach der Urwahl der Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im vergangenen November habe sie der damals siegreichen Göring-Eckardt gesagt, dass diese aus ihrer Sicht den ersten Zugriff auf den Fraktionsvorsitz habe.

Derweil gerät der Spitzenkandidat Jürgen Trittin, der wie Roth als Vertreter des linken Flügels der Partei gilt, parteiintern weiter in die Kritik. Der Europaparlamentarier und ehemalige Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer fordert einen Wechsel an der Spitze der Bundestagsfraktion, die Trittin zusammen mit Renate Künast bildet. Trittin habe als Spitzenkandidat ein starkes Mandat der gesamten Partei gehabt, nicht zuletzt der Realos. »Aber aufgetreten ist er nur als Sprecher für den linken Flügel«, sagte Bütikofer der »Süddeutschen Zeitung«. Katrin Göring-Eckardt als Co-Spitzenkandidatin habe »dieses Defizit nicht ausgleichen« können. »Zur Neuaufstellung gehört auch eine Neuaufstellung des Personals«, fügte er hinzu. »Auch in der Fraktion muss es einen Führungswechsel geben.« Der Bundesvorstand der Partei hatte seine Ämter bereits zur Verfügung gestellt, damit sie beim nächsten Parteitag im Herbst vorzeitig neu besetzt werden können.

Zuvor hatte bereits Hamburgs Grünen-Chefin Katharina Fegebank gesagt, dass sie die Erklärungen von Fraktionschef Jürgen Trittin zum Debakel der Partei bei der Bundestagswahl für nicht ausreichend hält. »Ich habe Trittins Statement gehört. Und bin von seinen Erklärungsversuchen nicht überzeugt«, sagte Fegebank am Montag in Hamburg.

Auch die Parteilinke will die »personelle Erneuerung voranbringen«, die Partei dürfe aber »nicht über öffentliche Statements personelle Demontagen betreiben«, hieß es beim Koordinierungsteam der parteilinken Plattform GrünLinksDenken. »Offenkundig haben wir auch ganz maßgebliche Vermittlungsprobleme gehabt, daraus sollten wir aber nicht den Kurzschluss ziehen, dass ein klares Gerechtigkeitsprofil und konkrete Reformvorschläge generell kontraproduktiv sind.« Auf Bundesebene müsse man sich »eingestehen, dass alle Parteien, die sich links verorten, Grund haben, das starke Abschneiden der politischen Rechten zu analysieren. Union, FDP und AFD haben gemeinsam über 50 Prozent der Stimmen bekommen.«

Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer warnt unterdessen vor einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene. »Das wäre ein brutaler Wortbruch«, sagte der Realo dem »Mannheimer Morgen«. Er gilt prinzipiell als Befürworter einer Öffnung der Grünen hin zur Union. Die Wähler hätten sich aber klar für Schwarz-Rot ausgesprochen, sagte er. »Nach dieser Niederlage haben wir auch gar nicht die Kraft, eine solche Koalition auszuhalten. Schwarz-Grün hätte im Bundesrat keine einzige Stimme.« Palmer sieht auch zu wenig inhaltliche Schnittmengen. Eine Einigung mit der Union ginge »nur um den Preis des totalen Gesichtsverlusts der Grünen«.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat seine Partei sowie die SPD derweil zu Gesprächen mit der Linkspartei aufgefordert. Das linke Lager habe die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag, erklärte Ströbele, der in Berlin das einzige Direktmandat der Grünen bei der Bundestagswahl gewonnen hatte, am Montag. »Also sollten wir jetzt Gespräche mit der Linken führen, um zu versuchen, unsere Wahlziele doch noch zu erreichen.« Im neuen Bundestag gibt es eine rechnerische Mehrheit für SPD, Linke und Grüne.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.