Schaerfs Scharfe Spiele

Käthe-Kollwitz-Preisträger Eran Schaerf mit politischer Kunst in der AdK

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Eran Schaerf ist ein listiger Wirklichkeitsverschieber. So ganz genau wussten viele Leser seines Schweizer Wanderblogs nicht, was sie von den dort veröffentlichten Geschichten eines migrantischen Rotkäppchens halten sollten, das erst entführt, dann beherbergt und schließlich von der St. Gallener Kantonspolizei gesucht wurde. So ganz mag auch der Besucher der Ausstellung, die dem aktuellen Käthe-Kollwitz-Preisträger in der Akademie der Künste gewidmet ist, nicht wissen, was es mit jenen offensichtlich palästinensischen Demonstranten auf sich hat, die - in Kostüme amerikanischer Ureinwohner gekleidet und mit Federkronen auf ihren Häuptern - behaupten, dass die sogenannten »Indianerkriege« noch nicht zu Ende seien. Sie sind Protagonisten von Fotos und Videos in Schaerfs Ausstellung »Disorder of Appearance«.

Während die Rotkäppchenreise durch die Schweiz - zugleich ein Beitrag der 54. Biennale von Venedig - rein fiktional war, ist der in Israel geborene und seit langem in Berlin lebende Künstler im Falle der palästinensischen »Indianer« ein die Wirklichkeit reinszenierender Dokumentarist. Bereits 2007 protestierten palästinensische Aktivisten beim Besuch der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice in der Westbank gegen die finanzielle Unterstützung Washingtons beim israelischen Siedlungsbau und stellten eine Parallele zwischen der Ausrottung der Ureinwohner und der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung her. Die Parallele erfuhr bei dem Kommando-Unternehmen der USA gegen Osama bin Laden gewissermaßen hochamtliche Aufladung. Die Tötung bin Ladens erfolgt unter dem Codenamen »Geronimo« - jenes Apachenhäuptlings, der als der hartnäckigste Widerständler gegen die Kolonisierung in die Geschichte einging. Der Palästina-Konflikt, der letztlich auch Katalysator islamistischer Radikalisierung ist, ist damit von zwei der beteiligten Konfliktparteien als Echo der amerikanischen Kolonialkriege definiert.

Schaerf ist offensichtlich fasziniert von solchen Mikrospuren globaler Nachrichten. Und er hat eine große Freude daran, sie auf seine Bühne der Kunst zu holen - und dabei mit kräftigen Pigmenten emotionalen Erzählens anzureichern.

Dies wird auch bei seiner Installation »Panorama« deutlich, die den Hauptteil der Ausstellung »Disorder of Appearance« darstellt. Dort bilden von der Decke herabgelassene Kabelbinder, wie sie die Polizei weltweit bei Festnahmen einsetzt, die Kristallisationspunkte von Teilinstallationen, in die indianischer Federschmuck, aber auch erst in jüngerer Vergangenheit aufgetauchte Polizeifotos der US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin Rosa Parks sowie immerfort plappernde Stimmen von Nachrichtensprechern integriert sind. Es tauchen auch Relikte auf, die auf Norman Bates, den Protagonisten aus Alfred Hitchcocks Thriller »Psycho«, und dessen elenden Kampf gegen Hirngespinste, gewalttätige Neigungen und verschwimmende Geschlechtergrenzen verweisen. Schaerf reichert den »Bates-Komplex« mit Fotos eines Mannes an, der jahrelang als seine verstorbene Mutter verkleidet deren Rente von der Bank abholte und damit als ein ganz besonderer, eben sozial getriebener »Gender-Performer« in den Nachrichten-Mahlstrom geriet.

Schaerf kreiert mit seiner Preisträgerausstellung ein bizarres Universum aus Nachrichtensplittern, das manche verborgene Verbindung zutage fördert. Es unterscheidet sich von Verschwörungstheorien - die ebenfalls nichts anderes als alternative Welterklärungsmodelle sind - aber dadurch, dass es zumeist seine Konstruktionsprinzipien offenlegt und lediglich eine Interpretationsmöglichkeit anbietet, den Betrachter aber nicht auf eine einzige Lesart festnagelt.

Positiv zu vermerken ist auch, dass Schaerf zwar die Theaterhaftigkeit von Politik feststellt - sowohl der »von oben« als auch der »von unten« -, nicht aber den Glauben vertritt, als handele es sich dabei nur um ein Spiel. Dazu sind die Symbole, die er verwendet, und die Sachverhalte, auf die er verweist, zu stark mit Kämpfen und Leiden aufgeladen. Schaerf spielt scharfe Spiele.

Eran Schaerf, Disorder of Appearance, AdK, Hanseatenweg 10, bis 3. November, Di - So 11 - 19 Uhr

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