Regierungsbildung: Industrielobby verstärkt Einflussnahme
Massive Kampagne für »marktwirtschaftliches Reformpaket«: Großplakate und Anzeigen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
Berlin. Die einflussreiche Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) versucht mit großem Aufwand, Einfluss auf die Gespräche zur Regierungsbildung zu nehmen. Wie der »Spiegel« berichtet, wurden rechtzeitig zu den ersten Sondierungsgesprächen zwischen Union, SPD und den Grünen bundesweit 117 Großplakate geklebt und Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen geschaltet. Darin werden die potentiellen Regierungsparteien zu unternehmensfreundlichen Reformen aufgefordert.
Bereits vor einigen Tagen hatte die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete und von Unternehmensverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanzierte Lobbyorganisation von der künftigen Bundesregierung die Umsetzung eines »marktwirtschaftlichen Reformpakets« verlangt. Dazu zählt die INSM eine Absenkung der Staatsquote, das Festhalten an der Rente mit 67 und eine »Fortschreibung« der Agenda-Reformen der rot-grünen Bundesregierung. Wie die Initiative erklärte, würde eine Mehrheit der Bürger von der nächsten Bundesregierung angeblich »sogar mutige Reformen« verlangen.
Wie nun bekannt wurde, will die INSM während der Koalitionsverhandlungen ihren Druck über weitere Zeitungsanzeigen intensivieren. »Wir wollen damit die reformorientierten Politiker aller Parteien unterstützen und Denkanstöße für den Koalitionsvertrag liefern«, wird INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr im »Spiegel« zitiert. Über die Kosten für die Kampagne schweige die INSM, berichtet das Magazin.
»Der Wahlausgang bedeutet einen Auftrag zum Handeln«, drängte bereits Anfang des Monats der INSM-Beiratsvorsitzende Martin Kannegiesser. Der frühere SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sagte, »wer jetzt die Reformen auf dem Arbeitsmarkt zurückdreht, wird steigende Arbeitslosenzahlen verantworten müssen. Nur mit weiteren marktwirtschaftlichen Reformen können wir den demographischen Wandel, die Energiewende und die fortschreitende Globalisierung bewältigen«.
Die Industrielobbyisten wollen unter anderem erreichen, dass Ökostrom nicht länger subventioniert und Leiharbeit nicht weiter reglementiert wird. Die Kampagne »Chance 2020« soll noch bis Ende des Jahres andauern. Das Jahresbudget der Lobbyorganisation beträgt knapp sieben Millionen Euro.
Die kritische Organisation Lobbycontrol hatte unlängst auch für den Wahlkampf bilanziert, wie Unternehmen und Wirtschaftsverbände versucht hätten, »individuelle Wahlentscheidungen zu beeinflussen. Diese Formen der Einflussnahme sind problematisch«, heißt es bei der Organisation. Es stelle sich die Frage, »ob die Zunahme externer Unterstützungskampagnen die Gefahr mit sich bringt, dass Geld eine größere Rolle im Wahlkampf spielt und das demokratische Prinzip ,eine Person, eine Stimme‘ gefährdet« werde.
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