Deutschland begünstigt Menschenhandel
Bundesrepublik ließ Frist zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtline bereits im April verstreichen
Vor wenigen Tagen geisterte eine Meldung durch die Medien, wonach EU-weit rund 880 000 Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten, von denen 270 000 sexuell ausgebeutet werden. Die Zahlen beruhen auf Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Europäische Statistikbehörde Eurostat zählte zwischen 2008 und 2010 rund 23 600 Betroffene, die verschleppt und zu Prostitution und Arbeit gezwungen wurden. Doch das sei nur die »Spitze des Eisbergs«, wie EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström im April dieses Jahres betonte.
Deutschland als größte EU-Volkswirtschaft dürfte auch der größte Markt für das schmutzige Geschäft sein. Die modernen Sklaven arbeiten hier als Prostituierte, Erntehelfer, Haushaltshilfen oder Pflegekräfte. Da überrascht es, dass Deutschland die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel bislang noch nicht umgesetzt hat. Die Frist zur Umsetzung habe die Bundesrepublik im April 2013 verstreichen lassen, kritisierte Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte am Dienstag in Berlin. Auch »die Verpflichtungen aus der Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel« habe Deutschland nicht erfüllt, so Follmar-Otto, die beim Institut die Abteilung Menschenrechtspolitik leitet.
Die Organisation, die 2001 auf Beschluss des Bundestages gegründet wurde, fordert nun, dass die zukünftige Regierung »einen umfassenden Gesetzentwurf zur Stärkung der Betroffenenrechte« vorlegt. Zwar hatte das Bundesjustizministerium in diesem Frühjahr ein »Gesetz gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel« fertiggestellt, doch die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat stoppte am 20. September diesen Entwurf. Die von SPD, Grünen und LINKEN geführten Länder kritisierten die Pläne als unzureichend. Zuvor hatten Experten betont, dass der schwarz-gelbe Entwurf das eigentliche Ziel der EU-Richtlinie, nämlich Schutz und Rechte der Opfer zu verbessern, deutlich verfehle.
Die Bundestagsdebatte im Juni dieses Jahres machte endgültig klar, dass das Gesetz nicht in der Länderkammer durchkommen würde. »Zwei Jahre lang lief die Frist zur Umsetzung«, kritisierte Katrin Werner von der LINKEN damals. Erst eine Rüge der EU habe die Koalitionsfraktionen zu einer Umsetzung der Richtlinie veranlasst. »Wir brauchen endlich einen effektiven Opferschutz. Lassen Sie die Opfer nicht später Angeklagte werden«, so Werner. »Wir brauchen ein Bleiberecht für die Opfer.«
Damit lag die Abgeordnete auf einer Wellenlänge mit dem Institut für Menschenrechte. Auch Follmar-Otto monierte am Dienstag, dass die Betroffenen in Deutschland »primär als Zeuginnen und Zeugen in Strafverfahren« betrachtet würden.
Aufenthaltstitel für Ukrainerinnen, die gegen ihre Zuhälter aussagen, sind an den Strafprozess gekoppelt. Nach Prozessende müssen sie die Bundesrepublik verlassen. Wer nicht aussagen will oder kann, wird oftmals sofort abgeschoben. Das Institut für Menschenrechte plädiert für einen Gesetzentwurf, der Opfern erlauben würde, in Deutschland zu bleiben - unabhängig davon, ob sie in einem Verfahren aussagen. Betroffene sollten zunächst ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsrecht bekommen, welches sie später aber verlängern könnten. Union und FDP fürchteten hier Missbrauch und ließen diesen Aspekt in ihrem Gesetzentwurf unberücksichtigt.
Das Institut für Menschenrechte drängt zudem auf eine Reform der staatlichen Entschädigung für die Betroffenen. Diese gebe es derzeit nur für »Opfer körperlicher Gewalt«. Die Drohung mit Gewalt oder gar die Bedrohung von Kindern oder anderen Familienangehörigen wird hingegen nicht entschädigt.
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