Sparhaushalt auf der Straße abgelehnt
In Rom demonstrierten Zentausende gegen Regierungspläne / Berlusconi mit zweijährigem Ämterverbot belegt
Gewerkschafter, Linke, Mitglieder der Bewegungen »Wohnrecht für alle«, »No TAV« (Susatal) und andere - zu Zehntausenden kamen am Wochenende aufgebrachte Bürger nach Rom. Bereits am Vortag hatte es Streiks im Transportwesen gegeben. Auch am Samstag demonstrierten die meisten friedlich, aber bestimmt, gegen die Sparpolitik der Regierung von Enrico Letta. Der Hauptvorwurf: Die Wirtschaft und Finanzinstitute sollen saniert werden, die Bevölkerung muss dies mit Preis- und Steuererhöhungen bezahlen.
Dass Enrico Letta von der Demokratischen Partei (PD) bei der Vorstellung seines Haushaltsentwurfs am Dienstag erklärte, die Steuerbelastung für die Einzelnen würde sinken, sehen viele nur als Ablenkungsmanöver: Tatsächlich ist ein Absenken der Einkommenssteuer geplant, doch wegen der Erhöhung der Benzinpreise - 6,5 Cent pro Liter als Sozialbeitrag - und einer geplanten Mehrwertsteuererhöhung von 21 auf 22 Prozent sehen die Bürger sich vor allem als Opfer der Maßnahmen.
Die Wut war groß. So kam es am Samstagnachmittag auch zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Behörden hatten ein massives Aufgebot von mehr als 3000 Ordnungskräften gestellt. Verletzte gab es auf beiden Seiten, elf Demonstranten könnten vor Gericht gestellt werden.
Die Proteste richteten sich auch gegen Gebäude: gegen das Wirtschaftsministerium, die römischen Filialen von UniCredit, den Zentralsitz der rechtsradikalen Organisation CasaPound. Am Abend blockierten mehrere Zeltlager Verkehrsknotenpunkte der Hauptstadt. Die Besetzungen dauerten auch am Sonntag an. »Wir bleiben hier, bis wir erhört werden«, so ein Sprecher der Protestbewegung. Für Dienstag sei ein Treffen mit Infrastrukturminister Maurizio Lupi geplant.
Die angekündigten Sparmaßnahmen sind auch innerhalb der Parteien umstritten. Vertreter der linksgerichteten Gewerkschaften und der PD warfen den Plänen mangelnden sozialen Charakter vor. Der zurückgetretene Vorsitzende und Ex-Regierungschef Mario Monti nannte den Verzicht auf die Grundsteuer Imu - von ihm im »Rettungspaket für Italien« eingeführt - ein »Einknicken Lettas« vor dem rechten Koalitionspartner Volk der Freiheit (PdL). Selbst demokratische Minister erwogen einen Rücktritt.
Seinen politischen Rückzug kann sich Silvio Berlusconi indes wohl nicht mehr aussuchen. Das Appellationsgericht Mailand hat am Sonnabend ein zweijähriges Ämterverbot über den ehemaligen Ministerpräsidenten verhängt. Das Gericht entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Anwälte des Medienmoguls lagen zwar sofort Berufung ein. Doch in der kommenden Woche droht Berlusconi bereits der Verlust seines Senatssitzes. Auch im Ruby-Prozess steht eine Entscheidung an. Dort wurde er in erster Instanz wegen Amtsmissbrauch und Prostitution Minderjähriger zu sieben Jahren Haft und lebenslänglichem Ämterverbot verurteilt. Sollte das angerufene Appellationsgericht dieses Urteil bestätigen - und damit wird noch in diesem Jahr gerechnet - dürfte Berlusconi nur noch als Graue Eminenz seiner Mitte-Rechts-Bewegung in Erscheinung treten.
Aus den Reihen der PdL gab es immerhin Unterstützung. Sekretär Angelino Alfano erklärte, die Rechtspartei stünde »fest geschart um unseren Führer«. Der PdL-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Renato Brunetta, wiederholte, man könne den »Führer der Mehrheit des italienischen Volkes« nicht ignorieren und in der Möglichkeit, politisch zu agieren, behindern.
Lediglich in einem der in Italien schwelenden Konflikte zeichnete sich am Wochenende eine Lösung ab. Der in Rom verstorbene NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke soll nach Angaben seines Anwalts Paolo Giacchini an einem geheimen Ort bestattet werden. Da die deutsche Botschaft laut Agenturen keine diesbezüglichen Anfragen des Anwalts oder der Angehörigen erhielt, dürfte sich das Grab in Italien befinden. Priebke war an dem Massaker der Nazis bei den Ardeatinischen Höhlen nahe Rom mit 335 getöteten Zivilisten beteiligt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.