K wie Kraftklub
Folge 15 der nd-Serie »Ostkurve«: Der Chemnitzer FC will mit Trainer Karsten Heine und einem 25 Millionen Euro teuren Stadion den Sprung in die zweite Liga schaffen
Ob die Chemnitzer Fans ihren Fußballklub gerade lieben oder links liegen lassen - Anett Schäfer und Mandy Brennecke sind die ersten, die es bemerken. Die beiden freundlichen Damen, die eine blondgelockt, die andere blondgesträhnt, sitzen an der Kasse des »CFC-Fanshop City« in der Augustusburger Straße, inmitten eines himmelblauen Mischmaschs aus Postern, Schals, Kaffeetassen, Kalendern, Federtaschen, Anoraks. Was der bestverkaufte Artikel ist? »Das aktuelle Trikot natürlich - für 69 Euro!« Und was ist das originellste Souvenir des Chemnitzer FC? »Hmmh. Wir hatten mal Kondome, aber die sind nicht mehr im Sortiment.«
Kondome sind also aus, wie passend, gilt Chemnitz Statistikern doch als die »älteste Stadt Europas«. 1990, im letzten Jahr, in dem die Stadt noch Karl-Marx-Stadt hieß, lag das Durchschnittsalter der Einwohner bei 39 Jahren, heute sind es 47. So wenige Kinder und Jugendliche wie Chemnitz hat keine andere Großstadt dieses Kontinents - der Anteil der Bewohner unter 15 Jahren liegt bei nur zehn Prozent. 1990 lebten in Chemnitz 300 000 Menschen, 2013 sind es etwa 240 000.
Der Besucher sieht Chemnitz den Mangel an: Industriebrachen säumen das weitläufige Stadtzentrum, in dem Stadtplaner sich zwei Jahrzehnte lang verwirklichen durften. Doch trotz der luftig-weiten Fußgängerzonen, einer modernen Tram und dem verschwenderischen Einsatz von Glas und Stahl - die City wirkt leer und seltsam gesichtslos, nur ein Charakterkopf sticht hervor: der »Nischl«, das Karl-Marx-Monument an der Brückenstraße.
Chemnitz hat’s nicht leicht, trotz mancher Leuchttürme: die Technische Universität, die Städtischen Theater, die Kunstsammlungen. Alle Chemnitzer unter 30 lieben die Band Kraftklub, »local heroes«, die es mit Songs wie »Ich will nicht nach Berlin« oder »Karl-Marx-Stadt« zu Stefan Raabs »Bundesvision Song Contest« geschafft haben. Ihr Album »Mit K« stand 2012 sogar eine Woche auf Platz eins der Album-Charts. K wie Kraft. K wie Klub. K wie Karl-Marx-Stadt. Oder wie: »FCK, FCK!«. So erschallt es jedes zweite Wochenende im Stadion an der Gellertstraße. An normalen Tagen kommen um die 6000 Zuschauer, wenn der Chemnitzer FC in der dritten Liga aufläuft.
Der Stolz auf den Ruhm vergangener Tage klingt in den Fangesängen stets mit. Der DDR-Meister-Titel für den FCK 1967 ist unvergessen, die Spieler sind Legenden: Müller, Lienemann, Erler, Vogel! Oder die guten Jahre um 1990, als Juventus Turin im UEFA-Pokal der Gegner war! 1:2, 0:1 - mit erhobenem Haupt schieden der Supertechniker Rico Steinmann und seine Kollegen gegen den WM-Torschützenkönig Toto Schillaci und Co. aus. Im Sommer 1990 wurde der Klub Vizemeister unter Trainer Hans Meyer. Chemnitz zeigte in diesen Tagen vielleicht den schönsten Fußball aller Oberligamannschaften.
Im Herbst 2013 spielt Chemnitz in der dritten Liga, die seit ein paar Jahren auch offiziell als Profiliga firmiert. Beim Verein ist man sehr froh über die Spielklasse, schließlich hatte der Weg des CFC schon bis in die Niederungen der vierten Liga hinabgeführt.
Am Sonnabend wird nun RB Leipzig zu Gast sein. Ein sächsisches Derby gegen den Red-Bull-Klub, der mit viel Geld den Durchmarsch in die zweite Liga schaffen will. Es klingt nach einem Höhepunkt. Doch im »Fanshop City« bleibt es am Mittwoch seltsam ruhig. Frau Schäfer und Frau Brennecke haben einen unaufgeregten Nachmittag, es bleibt Zeit, die Lederjacke überzuwerfen für eine Zigarettenpause vor der Tür des graubraunen Plattenbaus. »Es könnte schon ein bissl mehr los sein«, sagt Anett Schäfer. »Aber man muss auch sagen: Die Leistungen der Mannschaft waren nicht dementsprechend zuletzt: 16. Platz, da kommt eben nicht jeder.« Auch Fans sind empfindsame Wesen.
Den Verlauf dieser Saison hatten sich die CFC-Verantwortlichen etwas anders vorgestellt: 4,5 Millionen Euro waren doch ein anständiger Etatansatz, und mit Erstliga-Rückkehrer Ronny Garbuschewski (Düsseldorf) wurde deutlich aufgerüstet. Von bisher 13 Spielen konnte Chemnitz indes nur drei gewinnen, so dass vor zwei Wochen der vielgepriesene Aufstiegstrainer Gerd Schädlich zurücktrat. Der Mann, der einst die Nachbarklubs FSV Zwickau und FC Erzgebirge Aue in die zweite Liga geführt hatte. Der Coach, der 2011 vom Rathausbalkon aus die Huldigungen der Chemnitzer entgegennahm, als der Aufstieg in die dritte Liga geschafft war. Mit Schädlich ging ein Mythos. Er nahm auch ein Stück Hoffnung mit.
In den Fanshop an der Augustusburger Straße kommt der erste Kunde seit einer ganzen Zigarettenlänge. Die Damen nehmen ihre Plätze ein. »Vollzahler bitte, Block 4!« sagt der Mann mit dem Schnauzbart. »10 Euro!« lautet die Antwort. Er bezahlt und verstaut das Ticket der mittleren Kategorie in seiner Brieftasche. Ob er sich auf das Duell gegen Red Bull freue? Er zuckt mit den Schultern. »Nichts Besonderes, nein!« Da habe er seit seinem ersten Stadionbesuch 1982 schon ein paar andere Höhepunkte erlebt. Ob’s wohl dennoch voll wird im Stadion? »Glaube ich nicht. Gegen das Getränkekombinat kommen nicht so viele. Und nach Leipzig wird gleich gar keiner fahren. Wir werfen Red Bull das Geld nicht auch noch in den Rachen.« Was wäre, wenn Red Bull einst seinem Klub ein Millionensponsoring angeboten hätte und nicht dem Leipziger Vorortverein Markranstädt? »Hätte ich nicht gut gefunden. Hier ist eh viel zu viel Einfluss von draußen. Mir gefällt ja auch nicht, dass hier so viele aus’m Schacht arbeiten.«
Aus’m Schacht, so sagen die CFC-Fans zu den Lieblingsfeinden aus Aue, die einst auch Gerd Schädlich trainierte. Aue - das spricht der echte Fan nicht aus. Er buchstabiert höchstens: A, U, E. Trainer Schädlich haftete Aue stets als Manko an. Auch CFC-Sportdirektor Jörg Emmerich wird das Stigma nicht los, einst für den FC Erzgebirge aufgelaufen zu sein. Selbst dem Leiter des DFB-lizenzierten Nachwuchszentrums Kay-Uwe Jendrossek hängt aus Sicht mancher Fans der Schacht-Makel an. Die Rivalität zu Aue gehört zur Fan-Folklore und wird gerne besungen: »Wer war Sieger, die ganzen Jahre? Das war Chemnitz, keine Frage!« Dabei hat Aue die Chemnitzer längst abgehängt. Von den vergangenen zehn Spielzeiten hat Aue acht in der zweiten Liga verbracht, Chemnitz keine einzige. Und die wichtigste Investition in die Zukunft hat Aue schon hinter sich: Das Erzgebirgsstadion ist saniert.
Das Chemnitzer Stadion an der Gellertstraße, das zu DDR-Zeiten »Dr. Kurt-Fischer-Stadion« hieß, hat dringenden Sanierungsbedarf. Vor zwei Wochen präsentierte die Stadt nun die Entwürfe für die neue Arena. Das Stadion soll bis 2015 für 25 Millionen Euro umgebaut werden - bei laufendem Spielbetrieb: Vier schmucke Tribünen für 15 200 Zuschauer, mit einem neuen Hauptgebäude und VIP-Lounge. »Ein Meilenstein für den Chemnitzer Fußball«, schwärmt CFC-Geschäftsführer Sven-Uwe Kühn. »Schließlich ist der CFC ein entscheidendes Identifikationsinstrument für die Stadt.« Das neue Stadion sei Grundlage für den Aufstieg, von dem er derzeit nur in Verbindung mit dem Wort »mittelfristig« spricht.
Am Thema 2. Liga arbeiten die Chemnitzer derzeit im ehemaligen »Ernst-Thälmann-Stadion«. Das Leichtathletikstadion liegt im Sportforum am südlichen Stadtrand und ist seit Jahren Trainingsstätte des CFC. Seit zwei Wochen gibt dort Cheftrainer Karsten Heine die Richtung vor. Der 58-Jährige betreute schon mehrfach die Kicker von Hertha BSC in der ersten und zweiten Bundesliga und kümmerte sich dort zuletzt um den Nachwuchs. Seit seiner Ankunft in Chemnitz beackert er mit den Spielern zwei Bereiche: Sicherheit und Selbstvertrauen. Ständig wird die richtige Raumaufteilung geprobt und vor allem gibt es viel Schusstraining: »Damit die Jungs mal wieder wissen, wie schön es ist zu treffen.«
Heine sagt, er sei nach Chemnitz gekommen, weil er an die Stadt glaube. Und an den Verein: »Das Schönste wäre doch, das neue Stadion 2015 mit dem Aufstieg in die zweite Liga einzuweihen!«
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