Wettrennen des Westens nach Genf
Die Zeichen zwischen Iran und seinen bisherigen Kritikern stehen auf Annäherung
Ursprünglich verhandelte ein stellvertretender iranischer Außenminister auf der einen Seite und ähnlich subrangige Regierungsbeamte der 5+1-Staaten sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton auf der anderen. Das wurde in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag anders. US-Außenminister John Kerry ließ mitteilen, ihn veranlasse der offensichtliche Verhandlungsfortschritt nun zur Teilnahme in Genf. Über dessen Stand dürften die Regierungen der anderen teilnehmende Staaten ebenso gut informiert gewesen sein: Allerdings kommt es wie bei so vielen Dingen in der Politik darauf, dass ein Sachverhalt ausgesprochen werden muss, um als solcher zu gelten und nicht von irgendeinem, sondern dem Ranghöchsten im Kreise.
Also machten sich im Laufe des Freitags auch Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, sein britisches Pendant William Hague und der immer noch kommissarische deutsche Kollege Guido Westerwelle au den Weg. Der russische Ressort-Chef Sergej Lawrow allerdings, so erklärte ein Sprecher des dortigen Außenministeriums laut dpa, werde nicht nach Genf reisen.
So »überraschend«, wie die Agenturen meinten, es klassifizieren zu müssen, kam das alles allerdings nicht. Im Gegensatz zu früheren Runden deuteten diesmal mehrere Faktoren darauf hin, dass der Öffentlichkeit anschließend tatsächliche Verhandlungsergebnisse mitgeteilt werden. Noch am Freitagabend sollte es Erklärungen geben, welche Zugeständnisse jede der beide Seiten machen will und wie es danach weitergeht.
Durchgesickert oder besser gezielt in Umlauf gesetzt worden war zuvor schon eine Reihe technischer Einzelheiten, wie Iran die Weiterarbeit an seinem Atomprogramm zu modifizieren bereit sein könnte. Genannt wurden beispielsweise die Aussetzung von Arbeiten am Plutoniumreaktor in Arak oder die Reduzierung der Urananreicherung auf 20 Prozent bis hin zum gänzlichen Stopp der Anlage. In jedem Falle geht es um das Aussetzen von wichtigen Teilen des iranischen Atomprogramms.
Die präsentierten Ergebnisse sind, welche es auch im Einzelnen sein mögen, dennoch als vorläufig zu betrachten, weil sie vermutlich zu Hause erst noch verteidigt werden müssen. Das betrifft sicher nicht alle, aber doch die federführenden Gesprächsteilnehmer, also Iran und die USA.
Von einem Durchbruch zu reden, ist gewiss verfrüht, aber dass überhaupt der Gedanke nicht völlig abwegig ist, hat in erster Linie mit der iranischen Seite zu tun. Diese ist zunächst einmal personell neu aufgestellt - mit dem im Juni neu gewählten Präsidenten Hassan Ruhani, früher selbst einmal Atomunterhändler, der mit der bis dahin gepflegten Teheraner Attitüde von einer Politik der Stärke brach. Dies hat mit einem offensichtlich anderen Verständnis von Politikstil zu tun, aber genauso mit einer spürbaren Verschlechterung der Versorgungslage im Land. Das eine bedingte wohl auch das andere.
Der in Genf verhandelnde ebenfalls neue Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ist deshalb verdammt, mit greifbaren Resultaten nach Hause zu kommen, sprich der Zusage nennenswerter Lockerungen des Embargos und das nicht irgendwann, sondern möglichst sofort. Erstens braucht die Bevölkerung des Landes sie. Zweitens kann die Regierung so Versuche der erzkonservativen innenpolitischen Gegnerschaft ausbremsen, zum isolationistischen Politikstil von Präsidentenvorgänger Mahmud Ahmadinedschad zurückzukehren.
Misst man sie an ihren Verlautbarungen, wäre Letzteres eigentlich nicht im Interesse der USA und auch der EU. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass es bei diesen Verhandlungen nicht allein um die von Iran ausgehende Gefahr einer Atombewaffnung geht, wenn überhaupt darum. Während Kerry vor seinem Flug nach Genf demonstrativ mit einer Art Ergebenheitsgeste in Jerusalem bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Station gemacht hatte, erklärte Präsident Barack Obama, es werde in einer ersten Phase »voraussichtlich nur sehr geringe Erleichterungen bei den Sanktionen geben«. Aber genau das könnte die Botschaft sein: Es wird welche geben.
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