- Politik
- Tatort: »Rattenlinie« (ARD)
Manne hinter Klostermauern
Ein knapper Hinweis im Vor oder Abspann wäre nicht unangebracht gewesen: Die Hilfe des Vatikans und der katholischen Kirche für Nazigrößen, die via Rom nach Südamerika und damit in Sicherheit vor der Verfolgung im Nachkriegs-Europa gebracht wurden, ist keine perverse Erfindung des Krimi-Autors. Welcher Krimi-Erfinder würde sich im Zeitalter der political correctness auch so etwas noch einfallen lassen?! - Nein, es hat sie tatsächlich gegeben, die »Rattenlinie«, und Eichmann, Barby und andere sind auf ihr mit allerhöchstem Segen des Papstes der Justiz und der Gerechtigkeit entkommen. Somit lag dem NDR-»Tatort« zwar kein realer Fall, wohl aber ein denk bares Geschehen zu Grunde. Denn dass die einstigen Nazis heute aus ihren Löchern krabbeln, ist auch keine Autorenfantasie.
Doch wie soll man das den heutigen Krimikonsumenten noch spannend ver klickern? Um das angemessen zu »handeln«, griffen die Krimimacher in Hamburg mal ganz tief in die Kramkiste für literarisches Bildungsgut und stießen ganz unten auf den Pater William von Basker ville. Das ist der, der in Umberto Ecos Roman »Der Name der Rpse« eine ganze Mordserie in einem Kloster aufklärt. Und hatte schon in der Filmfassung Sean Connery das geistliche Habit so trefflich gestanden, so wurde er von Manne Krug im angemessenen Tragen der braunen Kutte (mit Naturtonsur) noch getopt. Wie der polizeiliche Amtsbruder Brockmüller (Charles Brauer) es ausdrückte: »Kaum vorstellbar, dass du jemals etwas anderes getragen hast.« Denn Bruder Paul Stoever ermittelt undercover hinter Klostermauern. Ein alter Mann ist ermordet worden, ein Tier- und Menschenfreund (Werner Dissel), und wenn auch die Beziehungen unter den Klosterbrüdern im Serienkrimi nicht annähernd so geschickt vernetzt waren wie in Ecos historisch-philosophischem Kriminalroman und es mehrere Anläufe braucht, bis die Geschichte auch nur einigermaßen ins Rollen kommt, so steckt der schöne sakrale Backsteinbau doch voller Geheimnisse, wie Stoever bald bemerkt.
Die Autoren vertrauten allerdings der Politstory mit dem authentischen Hinter grund nicht sehr und flochten immer mal wieder kleine Spannungsmomente mit ein, die den Lauf der Dinge eher hemmten als beförderten. Zum Beispiel der Diebstahl von Dürer-Grafiken durch ein geistlich-weltliches Homo-Pärchen, auf dass dem Vorurteil Genüge getan werde, dass zwei Drittel, aller Klosterinsassen schwul seien, wie Brocki am Anfang zu berichten weiß.
Dafür wurden die Figurenbeziehungen im Buch mal wieder nur sehr oberflächlich entwickelt. Regisseur Hartmut Griesmayr steuerte mit einer persönlichkeitsstarken Besetzung dagegen an: Rolf Illing spielte den Abt mit brauner Vergangenheit, Alexander May. den Altnazi, der in der Heimat sterben will und den letzten Zeugen seiner verbrecherischen Vergangenheit umbringt, Eva Brumby die geistig verwirrte Schwester des Mordopfers, Walter Kreye den Unternehmer, der Europaparlamentarier werden will und fürchtet, durch sein braunes Familienerbe bei dieser Karriere behindert zu werden. Hartwig Strobel hatte Kloster und Umland sehr stimmungsvoll fotografiert.
Möglich, dass dem Autor eine eher symbolhafte Geschichte durch den Kopf gespukt hatte, die Verquickung von Kirche und Politik beispielsweise oder die Last der Vergangenheit auf den Schultern der Nachgeborenen. Das ging dann freilich nicht auf, denn die eigentliche Kriminalstory gewann niemals und nirgends wirk lieh Spannung, die Ermittlungen schleppten sich so träge dahin, dass der krimierfahrene Zuschauer nach rund sechzig Minuten sich fragte, wie denn die werten Fernsehkriminalisten das letzte Drittel der Sendezeit zu füllen dächten. Das nächtliche Schleichen durch Kreuzund andere Gänge ließ wahrlich keine Gänsehäute den Rücken rauf oder runter eilen. Krug und Brauer, die dies wohl merkten, ironisierten ihre Parts: lieber freiwillig komisch als unfreiwillig lächer lieh sein. Dabei wurde allerdings das politische Hintergrundmotiv verspielt.
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