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  • Politik
  • Anbei! Reimanns Oper »Bernarda Albas Haus« an der Bayerischen Staatsoper Regie: Harry Kupfer

Alte böse Frau

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Aribert Reimann gehört zu den Er fölgreichen unter den zeitgenössischen Opernkomponisten. Zum Beispiel der »Lear« war ein Opernereignis von Rang. Nach der von Jean-Pierre Ponnelle inszenierten Uraufführung (1978) galt das auch für die politisch-realistisch angelegte Deutung von Harry Kupfer an der Komischen Oper (1983). Damals er setzte die Komische Oper, im Ostteil der Stadt (!), pikanterweise die ursprünglich geplante, aber nicht zustande gekommene Kooperation zwischen München und der Deutschen Oper Berlin. Unter völlig ver änderten Vorzeichen ist die jüngste Ur aufführung in München nun gleich eine Koproduktion zwischen der Bayerischen Staatsoper und dem Haus in der Berliner Behrensstraße. Regie: Harry Kupfer.

Reimanns Veroperung von Garcia Lor cas »Bernarda Albas Haus« entfaltet in der Reduzierung des Orchesters und der Dominanz von vier überwiegend präparierten Flügeln und zwölf Celli (ohne die weichen Violinentöne) eine ganz eigene spröde, überhitzte Atmosphäre, die fast nur auf die neun Frauenstimmen und deren Text ausgerichtet sind - und sich nur in seltenen Momenten auf eine reine or chestrale Klangmalerei zurückzieht.

Diese reine Frauenoper ist allerdings auch sperrig und auf die Dauer sogar monoton. Sie bleibt meist stecken auf einem emotionalen Niveau der Text-Unterstützung eines stets exaltiert überdrehten Parlandos von Hass und Verzweiflung, von unterdrückter Gier und ausbrechender Aggressivität. Die äußerst präsente Helga Dernesch schreit als alte Bernarda ihre Boshaftigkeit im wahrsten Sinne des Wortes nur so heraus. Vor allem Anne Pellekoorne, als Beinahebraut Angustia, sowie Claudia Baarainsky (Martirio) und Anna Korondi (Adela) als deren heimliche Konkurrentinnen um den einen, nicht in Erscheinung tretenden Mann leisten dabei stimmlich Großartiges in einem durchweg überzeugenden Ensemble.

Wie eine gute Fee der Poesie bewegt sich da die alte, verwirrte Mutter der Bernarda (als einzige Rolle für eine Schauspielerin) über die Bühne. Hier entfaltet Frank Philipp Schlössmanns Bühnenraum in einer warmen Ausleuchtung neben seiner suggestiven Kraft auch eine flirrende Transparenz. Jede Menge Stühle an der Decke, an den Seitenwänden und an der Rückwand fügen sich als Symbol der lastenden Enge des Hauses zu einer metaphorischen Übermacht von fast grafischer Eleganz. Es ist einfach grandios, wie Inge Keller mit ihrer greisenhaften, kindlichen Leichtigkeit durch diesen Kunstraum schwebt, die Augen aufreißt und die Arme hochwirft, mit einer im Wahnsinn zur Kenntlichkeit entstellten Sehnsucht nach einem anderen Leben. Sie gönnt dem Furien-Lamento der Frauen eine phantastisch hingeraunte Pause. Als einzige hat sie ihren Fluchtweg aus dem Hexenkessel der grandiosen Frauenstimmen gefunden.

Reimann hat die Gesangspartien mehr mit extremen Sprüngen ausgestattet als mit einer differenzierten Charakteristik. Da nützt auch Kupfers bewährte Personenregie nicht allzu viel. Die in klischeehaftes Schwarz gesteckten Frauen bleiben allenfalls unterschiedliche körperliche Schattierungen einer schwarzen Grundfarbe.

In Stück und Oper bildet die alte uner bittlich herrschende Bernarda das Zentrum einer Hölle in den eingemauerten vier Wänden. Die Alte treibt eine ihrer Töchter letztlich in den Tod und die anderen zumindest in Verzweiflung. Aber diese Katastrophe entwickelt sich nicht, sie ist im Grunde von Anfang an da. Trotz Zubin Mehtas bewegendem Einsatz auf dem für ihn eher selteneren Terrain wird es sich erst noch erweisen müssen, ob diese Oper ihren Platz im Repertoire findet.

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