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  • Politik
  • Von Ost nach West und zurück: Im Gespräch mit dem Regisseur Peter Schroth

«Hatte Illusionen»

  • Lesedauer: 4 Min.

Nur wenige Theaterleiter der DDR sind oder waren erfolgreich in westelbischen Provinzen. Auch er hat es versucht: Peter Schroth (60), Schauspieler und Regisseur. Nach guten und schlechten Er fahrungen im Theater der DDR hatte ihn vor drei Jahren die Neugier ans Badische Staatstheater Karlsruhe getrieben. 20 Jahre zuvor war er Schauspieldirektor am Nationaltheater Weimar, dann leitete er sechs Jahre die Ausbildung junger Regisseure an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Ab 1992 war Prof. Schroth Schauspieldirektor am carrousel theater Berlin. Für seine Inszenierungen erhielt er mehrfach den Kritikerpreis der «Berliner Zeitung».

ben gehört, zumal auf dem Theater. Aber die Frage für mich ist: Wie gescheitert? Das Projekt Karlsruhe oder einzelne Inszenierungen? Meine Arbeiten wurden vom Publikum weitgehend angenommen, was viel bedeutet. Denn Karlsruhe liegt in einer extrem konservativen Region, hat also ein dementsprechendes Publikum. Da gab es beim Zuschauer Irritationen, aber auch Interesse und Zustimmung. Gelegentlich krachende Türen und heftige Auseinandersetzungen. Also: Normaler Theateralltag. Von der Lokalpresse wur den meine Inszenierungen allerdings regelrecht exekutiert.

? Dann ist, wie Sie sagten, das «Projekt» gescheitert?

Ja. Ich hatte eine zu hohe Meinung vom westdeutschen Theater, denn die Arbeiten eines Peymann, Monk u.a. hatten einen ähnlichen Ansatz wie meine: Theater als Diskurs über Probleme der Gesellschaft, über Utopien menschlichen Zusammenlebens. Ich vertraute auf den Spaß und die Provokation, die Theater auslösen kann. Das hatte sich für mich in der DDR bewährt. Ich teilte dieses Konzept mit dem Intendanten Pavel Fieber und einer Gruppe Kollegen, von denen einige aus «dem Osten» kamen. Aber das reichte nicht in einem Umfeld eines weitgehend konser vativen Ensembles und festgefügter, «altbewährter» Theatergewohnheiten, wo Pragmatismus alles bestimmte. Keine Verständigung über ein Gesamtkonzept, keine Diskussion zu Ergebnissen der Ar beit. Innovation nur in den Maßen, wie das Abonnement-Publikum das zulässt. Insoweit ist das «Projekt» Karlsruhe gescheitert.

? Ist mein Eindruck richtig, dass Sie vielleicht weniger «im Westen» mit ihrem Projekt gescheitert sind als an den betonierten, konventionellen Arbeitsstrukturen eines Stadttheaters?

Da spielt beides ineinander. Stadttheater sind Bedürfnisanstalten: Das Bedürfnis nach Kunst und Kultur ist abonniert und bestimmt die Programmatik. Vor Zeitstücken wurde das Publikum «geschützt», indem sie zwar inszeniert, aber abendlich kaum angesetzt wurden. Ich war überrascht, dass Erfahrungen von Brecht und dem originären Stanislawski nicht in westelbische Provinzen gedrungen waren. Der Abonnent mit teils konventionell geprägten Bedürfnissen bestimmt die Arbeit des Theaters. Der Theatermann Fritz Kortner nannte das Betriebstheater.

? Ich schätze, dass zwei Drittel aller deutschen Theater solche Betriebstheater sind. Und von vielen Zuschauern gern besucht werden. Wollen Sie diese Theater abschaffen?

«Theater muss sein.» Das ist ein Aufruf des Deutschen Bühnenvereins. Ich finde: Diese Art von Betriebstheater muss nicht sein. Es schielt nach der Quote, es wird «betrieben» und «treibt» nicht mehr. Es stößt nicht mehr an mit Nachdenklichkeit, mit Denken in Widersprüchen, mit Fantasie. Aber es gibt nach wie vor genug Probleme in der Welt - die gefährdete Demokratie, die gesellschaftlichen Zwänge gegenüber den Bürgern, die Folgen der sozialen Krise für Familien, die Verrohung der Jugend auch als Folge der geistigen Verflachung der Medien. Oder das Abdriften von Teilen der Jugend nach Rechts. Diese Probleme gehören aufs Theater, wenn es seine Glaubwürdigkeit behalten will.

? Nun haben Sie seinerzeit von DDR-Kritikern ja auch einiges einstecken müssen.

Ja, aber diffamierend waren sie nie. In Karlsruhe präsentierte sich die Lokalkritik unprofessionell, beleidigend und dumm, eben parteiisch. Publikumsbriefe, die sich gegen diese Art von «Kritik» wehrten, wurden ignoriert. Rheinische Demokratie und Toleranz. Mir fällt da Adenauer ein. Als er einmal den Rhein von West nach Ost mit seinem Dienstwagen überquert hatte (das tat er ja fast täglich!), soll er die Vor hänge wütend zugezogen und gesagt haben: «Hier ist Sibirien.» Ich hatte wohl wirklich Illusionen.

? Wie geht es weiter 9 Ich mache weiter.

Das Gespräch führte Klaus Pfützner.

? Professor Schroth, nun sind Sie wieder in Berlin. Ihren Vertrag als Schauspieldirektor am Staatstheater Karlsruhe haben Sie nicht verlängert. Drei Jahre «im Westen». Scheitern oder Erfahrungsgewinn?

Beides. Ich finde George Taboris Satz gar nicht kokett, dass Scheitern zum Le-

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