Humorist, Pessimist, Humanist

Kurt Vonnegut, fast 84, schrieb ein Buch der großen Fragen

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Eigentlich hatte er schon vor neun Jahren, nach seinem Roman »Zeitbeben« erklärt, aus dem Stand des »aktiven Schriftstellers« zurückzutreten. Nun aber hat der Deutsch-Amerikaner Kurt Vonnegut, im 84. Lebensjahr, einen Essay-Band vorgelegt. Und siehe: »A Man without a Country« ist sein erstes nicht-belletristisches Buch, das es in die Bestsellerliste der »New York Times« schaffte. Es enthält Aufsätze, Aphorismen und handschriftliche Drucke aus der Zeit vor seinem »Rücktritt«. Es ist insofern kein Rücktritt vom Rücktritt. Doch Vonnegut, einer der großen alten Männer der zeitgenössischen US-amerikanischen Literatur und Humorist vor dem Herrn, muss leichten Erklärungsdruck verspürt haben. Auf die Frage, weshalb er sich zu einem literarischen Comeback entschlossen habe, sagte der lebenslange Pall Mall-Raucher (»Am einen Ende ein Feuer und am andern Ende ein Narr«): »Ich hatte einfach nicht geglaubt, dass ich so lange leben würde. Das war unverschämt von mir. Doch was soll ich unter diesen Umständen mit mir anfangen? Also habe ich wieder ein bisschen geschrieben.« Den Erfolg, der damit einherging, nennt er »ein hübsches Glas Champagner am Ende eines Lebens«. »Mann ohne Land« ist ein Essay-Band voller Leichtigkeit, Unterhaltsamkeit und Beiläufigkeit. Und es ist ein Buch der ganz großen Fragen: Leben und Tod, Krieg und Frieden, Mann und Frau. Es handelt von Naturwissenschaft und Technik im Roman, vom Zauber der Musik im Allgemeinen und des Blues im Besonderen, von Humor und Humanismus - und der Vergeblichkeit. Das alles kommt keineswegs schwerfällig daher. Vonnegut, der sich seit langem auch als Zeichner und Wort-Cartoonist präsentiert (die Illustration auf dem Buchumschlag ist ein Selbstporträt in wenigen Strichen und mit spitzer Nase) plaudert mehr, als dass er schreibt. Sein Stil ist frei von jener Kunstfülle, die dieser und jener mit »guter Literatur« verbindet. Kundig, aber unbehauen und direkt. Er gibt damit bis auf den Tag zu erkennen, wie und wobei er das Schreiben erlernte: beim Durchtelefonieren seiner Geschichten als junger Reporter für das Chicago News Bureau. Ausdruck dieses Stils sind Sätze wie der über die Bush-USA 2005: »Falls ihr es noch nicht mitgekriegt habt: Wir werden jetzt weltweit so gefürchtet und gehaßt wie einst die Nazis. Und das aus gutem Grund.« Oder: »Falls ihr es noch nicht mitgekriegt habt: Unsere ungewählten Führer (Anspielung auf die Manipulationen in Florida bei den Präsidentschaftswahlen - R.O.) haben Millionen und Abermillionen Menschenwesen nur wegen ihrer Religion und Rasse entmenschlicht. Wir verwundense und bringense um und folternse und kerkernse ein, mehr wollnwanich.« Als er kurz vor seinem 80. Geburtstag am 11. November 2002 gefragt wurde, wie es ihm gehe, entgegnete er: »Es macht mich krank, alt zu sein, und es macht mich verrückt, Amerikaner zu sein. Sonst geht's mir prima.« Ein echter Vonnegut! Ein Mann des unbedingten Humors, des unbedingten Humanismus - und der Hoffnung, dass beide helfen mögen, »sich die Erkenntnis, wie gräßlich das Leben sein kann, vom Leibe zu halten, um sich zu schützen«. Aber Vonnegut, der als Kriegsgefangener die Zerstörung Dresdens überlebte und darüber fast ein Vierteljahrhundert später in seinem weltbrühmten Roman »Schlachthof Fünf - Kinderkreuzzug« schrieb, wäre nicht er selbst, wenn er nicht wüsste, dass auch der Humor irgendwann »nicht mehr« funktioniert. »Jemand wie Mark Twain fand das Leben ziemlich grauenhaft, hielt das Grauen aber mit Witzen und so weiter in Schach, doch irgendwann gelang ihm das nicht mehr. Seine Frau, sein bester Freund und zwei seiner Töchter waren gestorben. Wenn man lange genug lebt, neigen viele Menschen, die einem nahe stehen, zum Sterben.« Kurt Vonnegut, der mit 22 seine Mutter durch Selbstmord verlor und 1985 selbst einen Selbstmordversuch unternahm, ist trotz aller Enttäuschungen Humanist geblieben. Allerdings, davon kündet dieser skurrile autobiografische Band ebenso, einer ohne besondere Hoffnung auf Besserung des Menschengeschlechts. »Wir Humanisten versuchen, uns so anständig, so fair und so ehrenhaft wie möglich zu benehmen, ohne Belohnungen oder Bestrafungen in einem Leben nach dem Tode zu erwarten«, heißt auf Seite 97. Sieben Seiten weiter: »Am Ende ihres Lebens befanden Albert Einstein und Mark Twain, mit der menschlichen Rasse habe es doch wohl keinen Sinn, obwohl Twain noch nicht einmal den Ersten Weltkrieg erlebt hatte.« Die Art, wie der alte Vonnegut auf den Zug des Fortschritts schaut, wird manchem Linken zu pessimistisch, zu wenig kämpferisch sein. Auch das macht »Mann ohne Land« lesenswert. Kurt Vonnegut: Mann ohne Land. Deutsch von Harry Rowohlt. Pendo-Verlag. 174 S., geb., 16,90 EUR.
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