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  • Politik
  • Neu in der »DDR-Bibliothek« Volker Brauns »Hinze-Kunze-Roman«

Tritt in den Hintern

  • Lesedauer: 7 Min.

Von Klaus Beilin

Das Manuskript war schon vier Jahre alt, als doch noch ein Buch daraus wurde. Der Vorgang war vielen Autoren in der DDR vertraut. Mancher Roman, mancher Erzählungs- oder Gedichtband schmorte, um- und umgedreht, abgeklopft, auf ideologische Schwachstellen untersucht, noch länger, mancher erschien erst, nachdem er gereinigt und desinfiziert worden war, mancher blieb ganz auf der Strecke, und selbst Brechts listiger «Me-ti» kam jahrelang an der Zensur nicht vorbei. Die Zensur war unerbittlich, auch wenn sie zuletzt altersmüde und nicht mehr ganz auf der Höhe ihrer Aufgaben war. Aber sie funktionierte noch. Sie kannte sogar ein paar hartnäckige Fälle, Schriftsteller, die es auf immer neue Machtproben anlegten. Einer dieser Unverbesserlichen hieß Volker Braun.

Er lag den Anhängern der reinen Lehre schon im Magen, als er noch in Leipziger Hörsälen saß. Er schrieb Gedichte, die im Universitätsblatt empört und gnadenlos verrissen wurden. «Kunsterscheinungen dieser Art», hieß es Anfang 1963, «nützen nicht dem sozialistischen Aufbau, sie sind wertlos und müssen verworfen werden». Im Mai 1999 zu Brauns 60. Geburtstag, hat Walfried Hartinger auf einem Kolloquium in Leipzig noch einmal an die Debatten aus den Studententagen erinnert und beschrieben, wie man dem jungen Autor damals vorhielt, «im Grunde nur seine Angst vor den hohen Anforderungen beim Aufbau des Sozialismus» auszudrücken. Der Aufsatz steht in einer schmalen, informativen Broschüre, die die Beiträge dieser Tagung vorstellt und Brauns «konsequent kritische Auseinandersetzung mit staatssozialistischer Amtsanmaßung», wie Klaus Pezold im Vorwort sagt, eingehend untersucht.

Volker Braun hat sich auch später von seinen standhaften Kritikern, die alles besser wussten, nicht zähmen lassen. Das offizielle Stirnrunzeln war ihm deshalb sicher. Allerdings: Beim Stirnrunzeln ist es ja selten geblieben. Der Apparat vertrug keinen Spaß. Er schlug zurück, und meist kamen dann, für eine gewisse Zeit wenigstens, Druck und Aufführungsverbote heraus. Am seltsamsten ging's zu, als 1985 im Mitteldeutschen Verlag endlich der «Hinze-Kunze-Roman» erschien. Das Büchlein war mit einem Klappentext ausgerüstet, der kein üblicher Klappentext war, sondern eine mit Augenzwinkern verfasste Mahnung, die Geschichte kritisch, am besten überhaupt nicht zu lesen. Es folgte, ebenso überraschend und noch vorm Titelblatt gedruckt, ein Dialog, der zu verstehen gab, dass die folgende Prosa nicht «auf der Linie» sei. Und hinten stand ein Nachwort von Dieter Schlenstedt, ironisch ausgewiesen als «schöngeistige Lesehilfe», ein langer Exkurs über die Eigenheiten Volker Brauns, mit Pfiff formuliert in fünf fiktiven Briefen, die ihr ver gnügtes Spiel mit den literaturpolitischen Gegebenheiten trieben und den Kritikern gleich noch die Einwände aus dem Mund nahmen.

Schlenstedt hat jetzt, im ausführlichen Nachwort zur Neuausgabe des «Hinze- Kunze-Romans», berichtet, wie damals alle Beteiligten, vom Autor über den Lek tor bis zum Kritiker, ihren Spaß daran hatten, Brauns Büchlein so auffällig und in ganz unkonventioneller Umrahmung anzubieten. Wie sie versuchten, mit allem, was die Ausgabe sonst noch an Gedruck tem enthielt, auf die Geschichte Volker Brauns einzugehen, ihren Ton aufzunehmen, ihre Brisanz nicht zu verstecken, aber auch nicht zu denunzieren. Dahinter, schreibt er, stand «die Sorge des Verlages, den bedenklichen Text< an den Gefähr düngen durch die Zensur vorbei zu bringen, sein Versuch, die literaturwaltenden Organe zu beruhigen, ihnen mitzuteilen, man wisse um die Problematik des Buches, stehe selbst durchaus in Distanz zu ihm und fordere zu einer kritischen Lektüre auf».

Natürlich fand der intelligente Spaß nicht überall Freunde. Die Kritik des «Neuen Deutschland» monierte denn auch gleich den Klappentext und die Tatsache, dass 26 der 224 Seiten des Buches «für Darlegungen von Braun-Deutern» benutzt wurden und «für Polemiken gegen all jene, die etwa eine andere Meinung als die vom Autor vertretene haben könnten». Da war schon offenkundig: Hinze und Kunze gefielen nicht. Nicht der dürre Chauffeur und nicht sein Gebieter, der Funktionär, nicht ihre Fahrten im Tatra durch die brüchigen Häuserzeilen des Prenzlauer Bergs, ihre losen Debatten über das Volk und den gesellschaftlichen Fortschritt, auch nicht die Art des Erzählers, sich gelegentlich einzumischen, seinen Senf dazu zu geben, zu mildern oder sich selber kritisch auf die Finger zu klopfen. Dieser Erzähler ist, wer wollte daran zweifeln, der unkostümierte Volker Braun, der seinem Lieblingsautor Diderot über die Schulter gesehen hat und nun Hinze und Kunze, den Herrn und seinen Knecht, durch die sozialistische Gegenwart treibt. Und während der eine steuert und der andere gefahren wird, gibt's Gespräche voller Witz und Ironie, durchsetzt mit Floskeln und groben Agitationsfetzen, respektlose Dispute über die kleinen Dinge und die großen Fragen, über Oben und Unten, Regieren und Gehorchen, über Frauen, Weltpolitik, Geschichte, Stillstand und Utopien.

Im «Neuen Deutschland» fiel Braun mit dieser provokanten Inszenierung glatt durch. Von Dilettantismus war die Rede und dass er in seiner Vorstellung vom Kommunismus «hinter unsere Altvorderen, die Utopisten vor Marx» zurückgefallen sei. Dass er sich auf den Holzweg begeben habe und alles kleinlich sei in dieser Prosa. Braun, an jenem 9 Oktober 1985 auf dem Weg zum Frankfurter Messegelände, schrieb in den Notaten über das Druckgenehmigungsverfahren des Romans (publiziert unter dem Titel «Aus einer alten Zeit» im Heft «Volker Braun zu Ehren»): «das ist, auf fremdem boden, ein schlag ins kreuz, oder der tritt in den arsch?» Und zwei Tage später- «der meute der westlichen Journalisten werfe ich beschämt belustigt in die zahne, dieser sur reale text könne nie im Zentralorgan gestanden haben, er sei von der cia verfaßt und auf der Buchmesse in umlauf gesetzt worden.» Die Kritik, so rigide, dass sie Braun bis aufs Talent beinah alle Fähigkeiten bestritt, widersprach, ohne es zu sagen, einem anderen Urteil, das, achtungsvoll, in zwei aufeinander folgenden Heften der «Weltbühne» gestanden hatte, schon im August und noch ehe der «Hinze-Kunze-Roman» überhaupt ausgeliefert war. Ihr Autor war Klaus Höpcke (woraus man schließen konnte, dass die harschen Braun-Kritiker nicht im Kulturministerium saßen).

«die rasse der gefahrenen, allerorten, riecht sich im roman»: Den Satz hatte Volker Braun schon am 27 Oktober 1985 notiert. Da war der Krieg gegen das Buch bereits im vollen Gange. Eine Autorenkonferenz der «Weimarer Beiträge» am 20. September wurde kurzerhand in ein Hinze-Kunze-Tribunal verwandelt. Ein paar Tage später äußerte Kurt Hager vor der Leitung des Schriftstellerverbandes seinen Unmut. Im November fuhr Braun zu einer Lesung nach Leipzig und registrierte die «angstlose, ermutigende atmosphäre». Dann wieder «als kontrastprogramm eine von der bezirksleitung berlin arrangierte ... interne diskussion im kulturbund, mürrisch mummelnde angewiderte greise». Im Zentralkomitee der SED witterte man eine Gefahr für die politische Ordnung der DDR. Die Wirkungen des Buches, hieß es aus der Kulturabteilung in einem Schreiben an Kurt Hager, müssten «scharf beachtet» werden, denn hier würde «offensichtlich ein anderes Gesellschaftsmodell angestrebt». Freilich: Zu diesem Zeitpunkt war der «Hinze-Kunze- Roman» längst aus dem Verkehr gezogen. Ein Auslieferungsstopp hatte praktisch für sein Verbot gesorgt.

Monate später, auf dem Berliner Solidaritätsbasar der Journalisten Ende August 1986, strafte Volker Braun das «Neue Deutschland», indem er von den drei Exemplaren, die er versteigern ließ, eins zum «ND»-Stand gab, wo das werte Publikum, wie er in seinen Notaten genüsslich anmerkte, gerade mit Gartenzwergen beglückt wurde. Die Redakteure nahmen das Buch, sie hielten es hoch, und sie hofften inständig, die Umstehenden würden das Werk erkennen. Der Titel wollte keinem über die Lippen. Aber es half nichts: Nach einer Weile mussten sie ihn nennen. Wie sollte'auch jemand aus der Ferne ein unscheinbares Bändchen erkennen, das es gar nicht gab?

Nun, gute fünfzehn Jahre danach, steht der «Hinze-Kunze-Roman» als 20. Band in der schönen DDR-Bibliothek von Faber & Faber. Er macht in dieser Reihe einen blendenden Eindruck. Er enthält Sätze, die man nicht mehr vergisst: «Der Herr und der Knecht ritten durch die preußische Prärie. Das Gras war gepflastert, die Bäume standen dünn in Reih und Glied wie herbestellt. Die Ortschaften, die sie passierten, schienen gereinigt, der gröbste Mist hinter Aufstellwände sekretiert. Es war ein wohlbeleuchteter Mor gen, ein ruhiger Jubel lag über der Flur.»

Wirklich: ein originelles, erheiterndes, bewundernswertes Buch.

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